Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Titel des Wettbewerbsbeitrags
Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Ausgangs- und Bedarfsbeobachtungen
In den Dörfern Kiefersfelden und Oberaudorf mit ihren insgesamt ca. 11.000 Einwohnern sind in den letzten 20 Jahren fast sämtliche industriellen Ausbildungs- und Arbeitsplätze abgebaut worden. Bekleidungshersteller, Zement- und Marmorwerk haben geschlossen. Durch die Grenzöffnung sind Zoll- und Speditionsgewerbe zurück gegangen. Dadurch gibt es eine relativ große Zahl sozial benachteiligter Jugendlicher, deren Eltern weite Arbeitswege haben oder arbeitslos geworden sind und die unter Scheidung, Alkoholismus und Gewaltneigung der Eltern leiden. Diesen Jugendlichen sind in besonderer Weise suchtgefährdet.
Die Dörfer Kiefersfelden und Oberaudorf bieten für die Freizeitgestaltung Jugendlicher vor allem die reizvolle Natur des Inntals mit Badeseen, hochwertigen Freizeitanlagen (Fun-Ski- Schanze, Soccerplätze, Beachvolleyballplatz, Streethockeyplatz) und allen Wintersportmöglichkeiten, außerdem vielfältige kulturell geprägte Vereinsangebote (z.B. Jugendtheater, Trachtenvereine, Musikkapellen) und Sportvereine (z.B. Fußball, Selbstverteidigung, Wintersport, Schießen, Wasserski).
Die Gefahr für Jugendliche, die diese Angebote wahrnehmen, besteht vor allem darin, dass das Trinken alkoholischer Getränke, vor allem Bier, im Rahmen der Vereins-Geselligkeit weitgehend als selbstverständlich (bayerische Tradition) vermittelt wird, was unter Umständen bei gefährdeten Jugendlichen zu frühzeitiger Alkoholabhängigkeit führen kann (vgl. Umfrage 1; s. Anlage).
Jugendliche, die nicht an Musik, Sport oder Brauchtumspflege interessiert sind oder sozialbedingt an keinem dieser Angebote teilnehmen, ziehen sich entweder zu niedrig schwelligen individuellen Beschäftigungen zurück, z.B. PC-Spiele, Chatten, Fernsehen, oder machen auf der Straße und in Parks selbst „was los“. (vgl. Aussagen Jugendlicher in „Wer wir sind …“, 8.10; s. Anlage)
Die Suchtgefährdung dieser Jugendlichen kommt, so sagen sie selbst, vor allem aus der Langeweile und der Sehnsucht nach außergewöhnlichen Erfahrungen. Außerdem helfen, nach Ansicht Jugendlicher Alkohol und Zigaretten aber auch Spielerfahrung am PC dabei, „dazu zu gehören“ und in der Gruppe anerkannt zu sein.
„Ich will Spaß haben“ ist die meist geäußerte Begründung für Alkoholkonsum oder Kiffen oder auch fürs Hängenbleiben am heimischen PC oder vor dem Fernseher. Drogen, Fernsehen und PC gelten als Spaß-Katalysatoren Nr.1. Selbst gestaltete Freizeitaktivitäten wie nachmittägliche Treffen, abendliches Fortgehen oder Partys sind für die überwältigende Mehrzahl der Jugendlichen in Kiefersfelden und Oberaudorf ohne Suchtmittel nicht vorstellbar. (Vgl. Umfrage 2, s. Anlage)
Um dem entgegen zu wirken, wurden in Kooperation zwischen den Gemeinden, den Kirchen und dem Jugendhilfeverein Kiefersfelden-Oberaudorf e.V. zwei Jugendcafes, das „ChillOut“ in Kiefersfelden und das „CO²“ in Oberaudorf, eingerichtet, für deren Konzeption, Angebote und Personal der Jugendhilfeverein die Trägerschaft übernommen hat.
Konzeption und Ziele
Die Gemeinden Kiefersfelden und Oberaudorf unterstützen zur Suchtprävention für Jugendliche die Jugendcafes „ChillOut“ in Kiefersfelden und „CO²“ in Oberaudorf mit Personalkostenzuschüssen. Die Trägerschaft hat der Jugendhilfeverein Kiefersfelden-Oberaudorf e.V. übernommen, der im Jahr 2002 gegründet wurde, mit dem Zweck „Jugendlichen Hilfen zu geben“ (Satzung). Die Räume stellt in Kiefersfelden die Evangelische Kirchengemeinde und in Oberaudorf die Gemeinde zur Verfügung.
Zur Konzeption der Angebote gehören folgende Ziele:
- Jeder Jugendliche in Kiefersfelden und Oberaudorf soll einen geschützten Raum haben, an dem er seine Freizeit weitestgehend nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten kann.
- Jeder Jugendliche in Kiefersfelden und Oberaudorf soll sozialpädagogisch ausgebildete Ansprechpartner haben, die ihn in seiner Lebensgestaltung und Lebensplanung begleiten und unterstützen können.
- Jeder Jugendliche in Kiefersfelden und Oberaudorf soll speziell auf seine Entwicklungsmöglichkeiten und -gefährdungen hin abgestimmte Angebote zur Selbstkonzeptentwicklung bekommen, die ihm helfen, selbständig, sozial, verantwortungsvoll und subjektiv glücklich zu leben.
Es wird ein ganzheitlicher Ansatz mit der Überzeugung vertreten, dass Jugendliche, die sich erwünscht und in ihren Entfaltungsmöglichkeiten unterstützt fühlen (Ziel 1), die für ihre Lebensplanung und -gestaltung angemessene Begleitungsangebote vorfinden (Ziel 2) und die mit Fehlentwicklungen konfrontiert und zur Selbstentwicklung motiviert und begleitet werden (Ziel 3), die geringstmögliche Anfälligkeit für Suchtmittel jeder Art haben.
Die Angebote der Jugendcafes werden von zwei Sozialpädagoginnen, einem Jugendbeamten der Polizei a.D. und einem Pfarrer mit Schwerpunkt Jugendarbeit entwickelt, durchgeführt und evaluiert. Ausführliche wöchentliche Dienstbesprechungen im Team und regelmäßige Konzeptentwicklungstage sorgen für gründliche Analysen der laufenden Arbeit und ständige situationsgerechte Überarbeitung der Angebote. Evaluation erfolgt durch regelmäßige Feedbacks, in die immer wieder auch Jugendliche einbezogen werden, und Beobachtung von Entwicklungen über einen längeren Zeitraum (vgl. Jahresbericht 2008).
Das Miteinander wird durch die Beziehung und gemeinsame Aktivitäten und nicht durch fest geschriebene Regeln gestaltet, da eigene Überzeugungen und nicht Anpassung gefördert werden soll. Es gelten Grundregeln, die so gut wie nie angemahnt werden müssen: Grundsätzlich werden in den Jugendcafes keine Drogen (inklusive Alkohol und Zigaretten) und keine Gewalt geduldet, was von den Jugendlichen inzwischen als selbstverständlich akzeptiert wird. Es gibt keinen Fernseher, und der PC ist so platziert, dass sich niemand dort dauerhaft verlieren kann. Die Angebote in den Jugendcafes bleiben offen und die MitarbeiterInnen gesprächsbereit auch für die Jugendlichen, die nur ein Minimum an Selbstbeherrschung und Sozialkompetenz mitbringen. Den Jugendlichen wird Raum zu größtmöglicher Selbstentfaltung, sowohl in Form eines offenen Aufenthalts- und Beschäftigungsraumes als auch im Angebot von Beziehungen gegeben. Wir sind personell in der Lage geschlechtersensibel zu agieren und machen geschlechtsspezifische Angebote, z.B. Gesprächsgruppen bei Seminaren, Mädchenabende u.a..
Die aktive Gestaltung der Beziehungen der Jugendlichen zu den Räumen, zu den MitarbeiterInnen und zueinander ist das konzeptionelle Fundament der Jugendcafe-Arbeit. Die Jugendlichen gestalten ihre Räume mit, z.B. durch eigene Renovierungsvorschläge und - arbeiten. Sie knüpfen und vertiefen ihre Beziehungen zu den MitarbeiterInnen durch Gespräche, gemeinsames Spielen und Mitarbeit. Sie gestalten - wo nötig angeleitet - ihre Beziehungen zueinander. Dadurch entwickeln sie eine positive Beziehung zu sich selbst, ihren Möglichkeiten und Grenzen und neigen weniger zum Gebrauch von Suchtmitteln.
Die Zeit, die die Jugendlichen im Jugendcafe verbringen ist drogenfreie und weitestgehend gewaltfreie Zeit. Da sie gleichzeitig selbstbestimmt, aktiv und befriedigend gestaltet wird, ist sie eine positive Gegenerfahrung gegen die tiefverwurzelte Überzeugung, es seien Suchtmittel nötig „um Spaß zu haben“.
Vorgehen und Umsetzung
Von den ca. 600 Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren besuchen etwa 8% täglich die Jugendcafes ChillOut und CO², die in Kiefersfelden Montag bis Freitag Nachmittag und in Oberaudorf ergänzend drei mal abends geöffnet sind (Stand 2008). Die Jugendlichen nutzen die Jugendcafes als Raum zum Treffen, in dem sie willkommen sind und ihre Freizeit ihren eigenen Vorstellungen gemäß gestalten können.
Die Jugendcafearbeit verfolgt eine mehrstufige Strategie zur Unterstützung eines befriedigenden Lebenskonzeptes der Jugendlichen. Am Beginn stehen 1.) einladende offene Angebote für Treffen, Freizeitgestaltung und Beziehung. Jugendliche haben 2.) die Möglichkeit zur persönlichkeitsabgestimmten Übernahme von Verantwortung. Sie können 3.), an problembezogenen Seminarangeboten und lebensbegleitenden wöchentlichen Gruppen im Stil pädagogisch begleiteter Selbsthilfegruppen teilnehmen.
Zum Teil und zumeist unverbindlich nehmen die Jugendlichen die Beschäftigungsangebote an, z.B. Basteln, Werken, Gesellschaftsspiele; zum andern Teil beschäftigen sie sich spontan mit Gesprächen, Kicker, Tischtennis, Kartenspielen, Chatten am PC, Lesen, Hausaufgaben u.a..
Grundsätzlich sind alle interessiert daran, sich mitzuteilen und wertschätzend wahrgenommen zu werden - vor allem gegenüber dem pädagogischen Personal - und genießen es, Interesse für ihre alltäglichen Anliegen und Befindlichkeiten zu finden.
Im Jugendcafe erfahren sie eine Form von Zuwendung, Betreuung und Angeboten, die sie eine befriedigende Form des Zusammenseins und der Freizeitgestaltung erleben lässt, die Suchtmittel (abgesehen von der obligatorische Raucherpause der Nikotinabhängigen) unnötig macht. Dies gilt auch für die dreitägigen Wochenendseminare.
Von großer Bedeutung ist das Rollenvorbild der MitarbeiterInnen. Sie konfrontieren die Jugendlichen mit ihrer persönlichen Meinung und Lebenshaltung und beziehen Position, wenn sei bei den Jugendlichen potentiell gefährdende Tendenzen feststellen. Die Bedeutung, die die Jugendlichen ihrer Beziehung zu MitarbeiterInnen beimessen wirkt sich suchtpräventiv aus.
In den Jugendcafes kann jeder mitmachen. Je nach Bedarf können die Jugendlichen die Intensität ihres Engagements steigern oder wieder reduzieren. Es ist stets eine große Bereitschaft zu gelegentlicher Mitarbeit und spontanen Diensten in den Jugendcafes (z.B. Aufsicht und Thekendienst) vorhanden. Etwa ein Drittel der BesucherInnen arbeiten regelmäßig mit.
Aber auch weitergehende Formen der Mitarbeit werden gesucht und wahrgenommen, z.B. bei Renovierungsarbeiten oder bei der Vorbereitung und Durchführung von Seminarangeboten. Zehn Jugendliche engagierten sich beim letzten Wochenendseminar (November 2008) in der Kleingruppenleitung und in der Verantwortung für Workshop-Angebote.
Die Jugendlichen bekommen durch Mitarbeit mehr Vertrauen in ihre Selbstkompetenz. Sie lernen neue Fähigkeiten bei sich kennen und können sie in geschütztem Rahmen erproben. So entwickeln sie neues Selbstbewusstsein und ein tieferes Selbstwertgefühl, überwinden Minderwertigkeitsgefühle und können auf Drogen verzichten.
Die pädagogischen MitarbeiterInnen stehen auch außerhalb der Jugendcafe-Zeiten jederzeit für „Notfälle“ zur Verfügung. Über eine Handynummer (das sog. „Jugendhilfehandy“, s. Logo) ist immer, auch nachts und am Wochenende, ein/e MitarbeiterIn erreichbar. So gibt es für jede Situation für die Jugendlichen die Möglichkeit, einen Menschen in Anspruch zu nehmen, der für sie da ist.
Über den Erstkontakt hinaus kann ein Netz von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen für unterschiedliche Notfälle aktiviert werden. Als ehrenamtliche Ansprechpartner haben sich Spezialisten in verschiedenen Bereichen zur Verfügung gestellt, z.B. Arzt, Polizist, Rechtsanwalt, Seelsorger, Psychologe.
Die Erfahrungen aus der Jugendcafearbeit werden in Vorträgen bei Vereinen und politischen Zusammenschlüssen, z.B. Lions-Club, Euregio Inntal, Sicherheitsgemeinschaft Inntal, weiter gegeben und gegenüber Jugendämter und den regionalen Trägern der ambulanten Jugendhilfe kommuniziert.
Ergebnisse und Erreichtes
Unser Ziel ist, dass Jugendliche ein selbständiges suchtmittelfreies Leben führen können. Die von uns geförderte Persönlichkeitsentwicklung soll die Jugendlichen in die Lage versetzen, in jedem gesellschaftlichen Umfeld und jeder Lebenssituation so viel Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen zu haben, dass sie auf Drogen nicht nur verzichten können sondern auch selbstbewusst und gerne darauf verzichten wollen.
Dafür haben wir im Jahr 2008 folgende Leistungen erbracht:
Ca. 100 Jugendliche insgesamt haben das offene Angebot von Montag bis Freitag in unterschiedlicher Intensität für Treffen und mit freier und angeleiteter Freizeitgestaltung in den Jugendcafes in Anspruch genommen.
In ca. 150 beratenden Gesprächen mit Jugendlichen wurden schulische und Beziehungskonflikte deeskaliert.
In 16 beratenden Gesprächen mit Eltern wurden familiäre Konfliktsituationen bearbeitet.
In 10 Gesprächen mit Eltern und Jugendlichen gemeinsam wurden familiäre Probleme beraten und mögliche Lösungswege aufgezeigt.
In Tür-und-Angel-Beratungsgesprächen erfuhren täglich (Montag bis Freitag) ca. 30 Jugendliche Persönlichkeitsstärkung durch wertschätzende Empathie und/oder Konfrontation.
Durch Hilfen bei Hausaufgaben und Unterstützung von Prüfungsvorbereitungen wurden bei ca. 10 Jugendlichen die schulischen Leistungen spürbar verbessert.
Durch Hilfen beim Schreiben von Bewerbungen und Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche wurde ca. 20 Jugendlichen der Weg in einen angemessenen Beruf erleichtert.
An vier Wochenendseminaren in 2008 nahmen jeweils ca. 50 Jugendliche teil und qualifizierten sich in Gewalt- und Suchtprävention.
Durch gelegentliche und regelmäßige Mitarbeit qualifizierten sich ca. 20 Jugendliche in sozialer, kooperativer und kommunikativer Kompetenz.
In wöchentlichen Projekten in der Werkstatt und in der Küche qualifizierten sich ca. 30 Jugendliche in lebenspraktischer und ernährungspädagogischer Kompetenz.
Durch wöchentliche Teilnahme an der Gruppe „Irgendwas ist immer“ erfuhren ca. 15 Jugendliche die Selbstkompetenzstärkung einer den alltäglichen Herausforderungen gewidmeten pädagogisch geleiteten Gesprächsgruppe.
Die Jugendcafes ChillOut und CO² sind in Oberaudorf und Kiefersfelden anerkannte Orte der Suchtprävention.
Jugendliche wissen, dass sie dort „Spaß haben“ können, ohne Suchtmittel dafür zu brauchen, und dass sie jederzeit Hilfe durch die MitarbeiterInnen in Anspruch nehmen können, wenn sie in Abhängigkeit zu geraten drohen oder bereits abhängig sind.
Eltern, Schulleitung, Polizei und Jugendamt schätzen die Einrichtungen ChillOut und CO² als wichtiges Präventionsangebot, das jederzeit Ansprechpartner bietet und anerkannter Vermittler zwischen Institutionen und Jugendlichen ist.