Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Titel des Wettbewerbsbeitrags
Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Die Entstehung des Projektes
Die Suchtprävention Bremen (seit 2008 "Gesundheit und Suchtprävention") ist die öffentliche Einrichtung der Stadt Bremen, die seit dem Drogenhilfeplan 1990 zuständig ist für die Suchtprävention im schulischen und außerschulischen Bereich, und seit Jahren Projekte für und mit verschiedensten Adressaten durchführt. Immer wieder tauchte die Frage auf, wie besonders benachteiligte und gefährdete Jugendliche erreicht werden können. Wir haben unspezifische, verhältnispräventive Angebote aufgebaut, wie z.B. die Stadtteilfarm in Huchting mit ihren vielfältigen Anreizen für die Bevölkerung im Stadtteil, oder suchtpräventive Projektwochen im Stadtteil (z.B. Lust auf Leben in Stadtteil Mitte/östliche Vorstadt), speziell für Kinder und Jugendliche, deren Auswirkungen im ,Suchtpräventiven Stadtteilprojekt' bis heute reichen und zu einer guten Vernetzung unter den Akteuren vor Ort beitrugen. Wir führen auch eintägige Projekte mit Schulklassen durch, die zu uns kommen und mit denen wir - auch mit Ehemaligen - zum Thema Sucht und Suchtprävention arbeiten.
Trotzdem fanden wir genau zu der Gruppe Jugendlicher, "die es besonders nötig" hat, schwer Zugang. Die Frage war: wie können wir sie ansprechen, ohne zu stigmatisieren. Wie können wir sie motivieren mitzumachen bei einer Sache, die nicht nur "Fun" und "Action" und Arbeit mit der "Gießkanne" ist, sondern auch bleibende Verhaltens- und Lebensänderungen zur Folge hat. Wir erreichen sie mit den Angeboten für alle Jugendlichen, aber dies war uns auf Dauer zu wenig.
Im Jahre 2000 haben Margrit Hasselmann und Nico Zwahlen für Grundschulen und den Hortbereich das Projekt "..., ganz schön stark!!" entwickelt, das konsequent an den Erkenntnissen der Forschung zu Salutogenese, Resilienz, systemischer Erkenntnistheorie, Neurobiologie, Psychomotorik und Bindung ansetzt. Damit es verankert ist und langfristig wirken kann - auch im Sinne der Verhältnisprävention - haben wir das Projekt für das ganze "Setting" entwickelt und es ruht deshalb auf den drei Säulen der Arbeit mit den Kollegien, Schülerinnen und Schülern und deren Eltern. Dieses Lebenskompetenzprojekt hat großartige Resonanzen und hat sich inzwischen zu einem "Erfolgsmodell" gemausert.
Die Überlegung war, ob es denn nicht möglich ist, diese Art der Suchtprävention so weiter zu entwickeln, dass wir damit die Haupt- und Förderschüler aus sozial besonders benachteiligten Gebieten Bremens erreichen und sie motivieren können, ihre Lebenskompetenzen zu entwickeln und darüber schädigendes Verhalten zu minimieren. Es ist nötig, an den Lebenswelten dieser Jugendlichen anzusetzen und es liegt nahe, die Jugendlichen mit Tanz und Musik abzuholen. Überall sind MP3-Player in Gebrauch, Handys dieser Jugendlichen haben meist Musik- und Videoclipfunktionen, Viva und MTV sind die beliebtesten Fernsehsender (neben "Soaps" und Actionfilmen), Hip-Hop nicht nur in der Szene eine Lebenshaltung.
Christine Witte, Tänzerin und Leiterin der School of Performing Arts (CORPA), konnte für eine gemeinsame Projektentwicklung gewonnen werden. Sie hat im Lauf ihrer tänzerischen Karriere immer wieder mit Jugendlichen gearbeitet und einschlägige Erfahrungen in der Jugendarbeit in den Townships von Südafrika, in New York und in Bremen mit ihrem Projekt "Empower your dreams" (ein Tanz-Casting für benachteiligte Jugendliche und anschließend deren intensive Tanz-Ausbildung) gewonnen. Und diese Jugendlichen aus "Empower your dreams" haben in unserem neuen Projekt "Kribbeln im Bauch" als Peers mit entwickelt und gearbeitet.
Wir wussten, dass wir die Eltern dieser Jugendlichen wenn überhaupt, dann erst sehr viel später über "Mundpropaganda" erreichen könnten. Also konzentrierten wir uns auf die anderen beiden Säulen: 1. die intensive Ausbildung der betreuenden Pädagogen und Lehrkräfte im Vorfeld und bei der Durchführung und 2. die direkte Arbeit mit den Jugendlichen im Projekt. Unser Ziel war, dass sich so viel "in Bewegung" setzt, dass es zu langfristigen Veränderungen in den Schul- und Lebensrealitäten dieser Jugendlichen kommt.
Von Anfang an suchten wir den Kontakt zur Krankenkasse AOK Bremen/ Bremerhaven, die gern zu einer Kooperation und einer nennenswerten finanziellen Beteiligung bereit war. Außerdem hatten wir im Amt für soziale Dienste und beim Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales engagierte Fürsprecher und Unterstützung.
Der sucht- und gewaltpräventive Ansatz des Projektes "Kribbeln im Bauch" setzt an den individuellen Stärken und Ressourcen der Jugendlichen an. Darüber hinaus sollen die Jugendlichen spezifische Informationen und Aufklärung über Gefährdungen wie Sucht, Drogen, Essstörungen, Konflikte und Gewalt erhalten, wobei immer an den Lebenswelten der Jugendlichen angesetzt werden soll - je nach Situation in den Klassen und nach Themen auch in geschlechterhomogenen Gruppen. Übergeordnet geht es allgemein um die Stärkung und Entwicklung von Lebenskompetenzen, um Kommunikation, Selbstwahrnehmung und ein soziales Miteinander. Alles dies sollte aber nicht nur kognitiv bearbeitet werden sondern im besondern Maße über Gefühle, Einstellungen, Haltungen. Die Erfahrung aus den Vorgänger-Projekten war, dass über den Körper - hier über Tanz - ganz andere Erfahrungskanäle geöffnet und angesprochen werden können. Der hohe Ausländeranteil und die Ansammlung von verschiedenen Nationalitäten in einer Klassengemeinschaft bringen nicht nur eine erfrischende Vielfalt sondern auch Probleme, wie kulturelle und sprachliche Barrieren mit sich. Tanz ist grenzübergreifend und fördert die Verständigung jenseits von verbaler Kommunikation, Status und Herkunft. Er ermöglicht die Konzentration auf eine bestimmte Aufgabe, losgelöst von allen häuslichen und gesellschaftlichen Problemen.
Bewegung führt zur Wahrnehmung des eigenen Körpers und intensive Körpererfahrungen schließen Gefühle auf. Der Tanz stellt eine besondere Kommunikation dar, wenn Jugendliche zusammen proben, gemeinsam eine Choreographie erarbeiten und nur alle gemeinsam - Schwache und Starke, Dicke und Dünne, Verhaltensauffällige und Lernverzögerte, deliquente und schüchterne, retardierte Jugendliche - IHR Werk präsentieren können. Das Beherrschen des eigenen Körpers und das Erlernen von Tanzschritten erfordert Disziplin und Durchhaltevermögen, übt die Konzentrationsfähigkeit und erhöht die Frustrationstoleranz. Die Verknüpfung von kongnitiver und affektiv, körperlicher Arbeit erhöht die Möglichkeit von Verhaltens- und Einstellungsänderungen. Wenn dies alles gemeinsam MIT den Lehrkräften und Schule erfolgt, führt dies zu Veränderungen in den Lebenswelten der Jugendlichen - soweit jedenfalls unsere Hypothesen...
Das Pilotprojekt "Kribbeln im Bauch..." fand als erster Durchgang im Schuljahr 2006/2007 an 3 Sekundärschulen aus zwei verschiedenen Bremer Stadtteilen statt. Ingesamt haben sechs 9. Hauptschulklassen d.h. rund 120 Schülerinnen und Schüler teilgenommen.
Übergeordnete Schwerpunkte waren Selbstachtung, Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit, Frustrationstoleranz, Zugang zum eigenen Körpergefühl, Genussund Erlebnisfähigkeit.
Die Ziele des Projektes
- besseren Zugang zu den eigenen Gefühlen finden
- Handlungsalternativen bei Gefühlslagen kennen lernen und einüben
- Ausdauer trainieren und Frustrationstoleranzen erhöhen
- Arbeit an sich selbst intensivieren und sich selbst mehr zutrauen
- Wissen über Entstehung von Sucht und Gewaltbereitschaft erweitern und auf die eigene Person und in Bezug auf Andere anwenden
- verstärkte Eigenverantwortung übernehmen
Die Projektdurchführung
Der Start des Projektes war eine obligatorische zweitägige Lehrerfortbildung mit den Klassenlehrern und -lehrerinnen der beteiligten Klassen. Es wurde intensiv mit den Lehrkräften zu Tanzpädagogik und (Sucht- und Gewalt-)Prävention gearbeitet, die Basis für das Projekt mit den Schülern erarbeitet und Implementierungsmöglichkeiten für das "Alltagsgeschäft" danach an den Schulen vor Ort. Anschließend fand pro Klasse eine Projektwoche statt. Die Klasse wurde an den Tagen in zwei Gruppen aufgeteilt, mit denen im Wechsel tanzpädagogisch und mit anderen kreativen Methoden auch kognitiv zu Teamentwicklung, Sucht, Kommunikation und Körpergefühl gearbeitet wurde.
Die Lehrkräfte wurden "mit ins Boot geholt" und nahmen während der Projektwoche selber am Programm teil, waren beurlaubt' aus ihrer Pädagogen-Rolle.
Die Evaluation des Projektes
Das Pilotprojekt "Kribbeln im Bauch..." wurde im Rahmen einer Prozess- und einer Ergebnisevaluation (Prae- und Post-Fragebögen) begleitet. Sechs Monate lagen zwischen der ersten Befragung vor und der zweiten Befragung nach dem Projekt. Ingesamt nahmen um die hundert Schülerinnen und Schüler an der Erhebung teil. Über die Ergebnisse waren wir mehr als erfreut: ein Drittel der Jugendlichen, die sich vorher als Raucherinnen bezeichnet hatten, gaben nach 6 Monaten an, dass sie ihr Rauchverhalten reduziert oder sogar ganz eingestellt haben. Auch die Zahl derjenigen, die äußerten, in den letzten 30 Tagen (30-Tage-Prävalenz) nicht betrunken gewesen zu sein, stieg von 17 auf 39. Besonders hervorgehoben wurde der Zusammenhang zwischen Bewältigung von Gefühlen und "Musik und Bewegung". Auch sechs Monate nach dem Projekt sagten noch 67 Schülerinnen und Schüler, dass Musik und Bewegung ihnen helfe, mit ihren Gefühlen besser umzugehen, und dass das Projekt "Kribbeln im Bauch " ihnen Musik und Bewegung näher gebracht habe. Ingesamt haben mehr als zwei Drittel durch das Projekt ein besseres Körpergefühl bekommen. Außerdem haben 64 Schülerinnen und Schüler das Gefühl, selbstbewusster geworden zu sein!
Resonanz
Die Rückmeldung aller Beteiligten - auch der ,Profis' - war während und nach der Durchführung des Projektes so einhellig positiv, dass wir einfach weiter machen mussten! Wir präsentierten die Ergebnisse der AOK Bremen / Bremerhaven und im Landesinstitut für Schule und erhielten die Zusage für weitere Mittel. Alle Teamer inklusive der Peers (Jugendliche Tänzer aus dem Projekt "Empower your dreams") zogen sich zu einer zweitägigen Team-Klausurtagung zurück und wir entwickelten gemeinsam die "Essentials" und Gelingensbedingungen für weitere Durchgänge. Denn wir stehen zwischen der Forderung nach geringen Kosten für die Durchführung des Projektes einerseits und unseren Ansprüchen an die Qualität der Durchführung, die einfach an exzellente Manpower und ein sehr gut geschultes Team gekoppelt ist.
"Kribbeln im Bauch" wird es auch weiterhin...
Für 2008 erfolgte eine öffentliche Ausschreibung im Weser-Kurier. Schulen konnten sich für die Teilnahme bewerben, das Team suchte die 13 Klassen aus, die besonders schwere ,Handicaps' hatten, und ab Januar lief der neue Durchgang, erst die zweitägige Multiplikatorenschulung, dann "Kribbeln im Bauch" in 13 Projektwochen.
Das Projekt in 2008 endete mit einer Intensivwoche, offen für alle interessierten und von den Klassenlehrkräften empfohlenen Schülerinnen und Schüler aller "Kribbeln im Bauch"-Schulklassen aus ganz Bremen. Die Jugendlichen waren so motiviert und selbstbewusst, dass sie sich trauten in dieser großen Gruppe (über 60) mit fremden anderen Jugendlichen zu trainieren. Sie nahmen - ohne die Lehrkräfte - teilweise sehr lange Anfahrtswege mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Kauf, nahmen regelmäßig teil und präsentierten die Ergebnisse ihrer Arbeit in aller Öffentlichkeit am Freitag Mittag auf dem Bremer Marktplatz, in Bremens "Guter Stube"! Die Resonanz der Öffentlichkeit war enorm, die Begeisterung und der Stolz auf die eigene Leistung riesig.
Für 2009 sind alle Vorbereitungen getroffen: Gelder sind akquiriert (die AOK Bremen / Bremerhaven beteiligt sich wieder mit einer nennenswerten Summe), die öffentliche Ausschreibung und Auswahl der Schulklassen ist erfolgt und Ende Januar 2009 starten wir mit dem nächsten Wochenend-Intensiv-Workshop für alle Lehrkräfte der beteiligten Klassen. Es wird eine externe Langzeit-Evaluation durch qualitative Interviews, betreut durch die Universität Oldenburg (u. a. auch auf Wunsch der AOK Bremen/Bremerhaven), durchgeführt. Als weiteren aktiven Unterstützer haben wir den Tanzclub Grün/Gold gewonnen, in deren Räumlichkeiten die Projektwochen in Zukunft durchgeführt werden und die uns mindestens einen Tänzer aus der Weltmeister Latein-Formation für die Projektwochen stellen. Und wir sind guter Dinge, es auch in anderen Städten "kribbeln" zu lassen. So hat die BZgA Interesse formuliert, "Kribbeln im Bauch" als Angebot in ihr bundesweites "GUT DRAUF"-Projekt aufzunehmen und aus verschiedenen Städten bis Südtirol gibt es Anfragen zum Projekt.
Wünschenswert für Bremen ist eine finanzielle Absicherung von "Kribbeln im Bauch" auf Dauer und eine Ausweitung des Angebots, denn wir haben viele Anfragen, die wir bislang nicht bedienen können. Deshalb werden wir in 2009 neben der Durchführung den neuen Schwerpunkt auf die Akquisition von Geldern legen und glauben durch den Nachweis der Wirksamkeit (Evaluation) und die bunten Präsentationsmöglichkeiten mit DVD, Pressearbeit und Auftritten in der Öffentlichkeit auch auf der Suche nach Mäzenen fündig zu werden.
Heinzpeter Mühl jedenfalls, Vorstand der AOK Bremen/Bremerhaven, lobte Kribbeln im Bauch... als "hervorragende Möglichkeit, Lebenskompetenzen bei jenen Jugendlichen zu fördern, die dies aufgrund des Elternhauses oder durch ein schwieriges soziales Umfeld nicht oder nur unzureichend lernen".