Auszug aus der Wettbewerbsdokumentation
Kommune und Wettbewerbsbeitrag im Überblick
Einwohnerzahl | 341.6691 |
Bundesland | Hessen |
Titel des Beitrags | Alkoholprävention mit den Kerbborschen in Dreieichenhain |
Schwerpunkt des Beitrags | Zielgruppe sind die "Kerbborschen", die in ihrem Heimatort die stark mit dem Konsum von Alkohol verbundenen Kerbtraditionen feiern. Ziel ist, Missbräuchen vorzubeugen, die Tradition aber gleichzeitig weiterleben zu können. |
Kontakt | Heike Simmank Kreis Offenbach, Fachdienst Jugend, Familie und Soziales Jugendförderung/Jugendschutz Werner-Hilpert-Straße 1 63128 Dietzenbach Tel.: +49 6074 8180-3228 E-Mail: h.simmank@kreis-offenbach.de |
1 Die Einwohnerzahlen der prämierten Kommunen wurden der folgenden Quelle entnommen: Bertelsmann Stiftung: Wegweiser Kommune, www.wegweiser-kommune.de (Abruf April 2016); die Zahlen beziehen sich auf den Stand vom 31.12.2014.
Anlass und Ausgangssituation
Im Kreis Offenbach ist die "Haaner Kerb", das Kirchweihfest im Dreieicher Stadtteil Dreieichenhain, ein traditionsreiches Fest, das seit dem Mittelalter gefeiert wird. Bereits in der ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 1562 wurden Alkoholexzesse beklagt. Bei dem Fest übernehmen junge Männer im Alter ab 17 Jahren traditionell als "Kerbborschen" die rituellen Aufgaben bei der Kerb: Sie stellen den Kerbbaum auf, machen den Bieranstich, taufen die nächstjährigen Kerbborschen und verbrennen die Kerbpuppe am letzten Tag. Einige dieser Traditionen sind eng mit Alkohol verbunden, andere weniger. Schon ein Jahr bevor die jungen Männer Kerbborschen sind, werden sie mit 16 Jahren "Vorkerbborschen" und begleiten bei ihrer "Vorkerb" den aktuellen Jahrgang, um von ihm zu lernen. Ein Kerbborsch ist somit Vorbild für den nachfolgenden Jahrgang, er erlebt seine Aufgabe als Initiation in die Erwachsenenwelt des Ortes. Hierbei wird auch sehr genau beobachtet, ob er seiner Aufgabe als Kerbborsch gewachsen ist. In den vergangenen Jahren bekam das Fest - auch in der Presse - jedoch immer mehr den Ruf eines Saufgelages für Jugendliche.
Konzeption und Ziele
Der Bürgermeister von Dreieich und der Kerbverein nahmen daher Kontakt zur Fachstelle für Suchtprävention des Suchthilfezentrums Wildhof auf. Das Suchthilfezentrum ist im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge für den Kreis Offenbach seit über 30 Jahren in der ambulanten Suchthilfe tätig und hatte bereits Workshops für Schülerinnen und Schüler in Dreieich organisiert und für deren Durchführung Studierende ausgebildet. Gleichzeitig bereitete die Jugendförderung im Kreis Offenbach die Umsetzung des HaLT-Projektes in den Kommunen des Kreises vor. Die Präventionsmaßnahme für die Kerbborschen wurde von Anfang an als ein Baustein in HaLT-proaktiv aufgenommen. Nach einer Bedarfsanalyse in Vorgesprächen mit dem Bürgermeister von Dreieich, dem Kerbverein und der Fachstelle für Suchtprävention wurde die Maßnahme entwickelt und erstmals im September 2012 durchgeführt. Seitdem findet die Maßnahme jährlich statt.
Da die Präventionsmaßnahme darauf abzielt, eine alte kulturelle Tradition mit einem zeitgemäßen Bewusstsein der Jugendlichen über die Risiken des Alkoholkonsums zu verbinden, ist die präventive Arbeit nur gemeinsam mit den Kerbborschen möglich. Die Jugendlichen sollen unterstützt werden, in die Tradition hineinzuwachsen, ohne durch Alkohol oder durch alkoholbedingte Gewalt gefährdet zu werden. Sie sind mit 16 Jahren und ohne Alkoholerfahrung die Hauptakteure des Festes, bei dem der Alkoholkonsum einen hohen Stellenwert besitzt. Dies macht es erforderlich, mit den Jugendlichen gemeinsam den Umgang mit Alkohol im Festzusammenhang zu thematisieren, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und sie zu unterstützen, eine eigene Haltung zum Thema Alkohol zu entwickeln.
Vorgehen und Umsetzung
In die Projektdurchführung ist der Kerbverein eingebunden und arbeitet mit der Fachstelle für Suchtprävention des Suchthilfezentrums Wildhof zusammen. Im Vorfeld des Kerbfestes wird für die Vorkerbborschen ein Workshop durchgeführt; die Teilnahme daran ist verpflichtend. Die Workshopleitung ist dabei selbst nicht viel älter als 20 Jahre, stammt aus dem Umfeld der Kerbborschen, war selbst einmal Kerbborsch oder steht diesen nahe und wurde vom Suchthilfezentrum Wildhof geschult. Sie steht anschließend ein ganzes Jahr als Ansprechpartner zur Verfügung, wenn sich Fragen oder Probleme im Zusammenhang mit Alkohol ergeben. Kurz vor der nächsten Kerb, wenn die Vorkerbborschen selbst Kerbborschen geworden sind, findet eine Nachschulung, wieder im Rahmen eines Workshops, statt.
In den Workshops reflektieren die Jugendlichen das eigene Verhalten, legen akzeptables Verhalten fest und geben sich selbst für ihre Gruppe Verhaltensregeln für die Zeit der Kerb (z.B. ein Verbot des Konsums von Spirituosen während der Kerb) sowie Sanktionen für Verstöße. Sie entwickeln eine eigene Haltung zum Alkoholkonsum und erhalten Informationen über den Alkoholkonsum, seine Folgen und Verhaltensregeln. Zudem machen sie sich die Rolle ihres "Amtes" und der Aufmerksamkeit, die dieses mitbringt, bewusst, hinterfragen die Motive für den Alkoholkonsum und entwickeln speziell an die Tradition der "Haaner Kerb" angepasste Verhaltensweisen, etwa die Ablehnung von Aufforderungen zum Alkoholkonsum. Kurz vor der eigentlichen Veranstaltung werden die Themen gemeinsam noch einmal aufgefrischt.
Am Ende jedes Workshops steht eine Befragung der Jugendlichen. Die Ergebnisse dieser Befragungen zeigen, dass die Workshops stets positiv bewertet und als hilfreich befunden wurden. Es gilt inzwischen als peinlich und zu vermeiden, betrunken zu sein. Auch hat sich gezeigt, dass viele Kerbborschen zwischen Vorkerb und Kerb den Kontakt zu den Workshopleitern suchen, sich mit persönlichen Fragen und Erfahrungen bezüglich Alkohol und Drogen an diese wenden. Es lässt sich erkennen, dass die Jugendlichen bewusster konsumieren.
Begründung der Prämierung
Es handelt sich um ein innovatives Projekt, das versucht, die mit der Initiation in die Welt der Erwachsenen verbundenen, schon Jahrhunderte bestehenden Traditionen beizubehalten, den Jugendlichen aber gleichzeitig ein zeitgemäßen Bewusstsein über die Risiken des Alkoholkonsums zu vermitteln und damit eine Umdeutung des Kerbborschen vom "trinkfesten Kerl" zum selbstbewussten Fest-Ehrengast vorzunehmen.
Da es eine Reihe von Festen und Traditionen mit vergleichbaren Riten in Deutschland gibt, in denen ebenfalls der Alkoholkonsum eine wichtige Rolle spielt und meist positiv besetzt ist, kann der Umgang mit diesen Traditionen und Verhaltensweisen in Verbindung mit einer Umdeutung in Richtung eines risikoarmen und verantwortungsvollen Alkoholgenusses Vorbild für andere Kommunen und Regionen sein.
Der Beitrag richtet sich an eine Zielgruppe, die sonst nicht so und nicht in dieser Form (auch als spezielle Gruppe) angesprochen wird. Das Vorgehen ist dabei gendersensibel angelegt und setzt mit den Workshopleitern auf einen Dialog "auf Augenhöhe".
Wichtiger Partner des Vorhabens ist der Kerbborschen-Verein. Kulturtraditionsbewahrende Vereine sind in der Suchtprävention bisher ein seltener Partner. Die Kooperation ist ein innovativer Bestandteil des Beitrags und für den Erfolg zielführend.
Die Erarbeitung der Informationen zum Umgang mit Alkohol erfolgt stark partizipativ.
Die durchgeführten Workshops sind offenbar erfolgreich und werden in der jährlich erscheinenden Kerbzeitung von der Zielgruppe als lehrreich und interessant, ja lustig beschrieben. Das Projekt wird seit 2012 jährlich durchgeführt.
Zum Originalwettbewerbsbeitrag des Kreises Offenbach.