Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Titel des Wettbewerbsbeitrags
Kurzfassung des Wettbewerbsbeitrags
Bei diesem Präventionsprojekt geht es darum, Jugendliche risikopädagogisch zu begleiten. Zielgruppe sind „Kerbborschen“, das sind junge männliche Personen im Alter von 15-19 Jahren, die in ihrem Heimatort die Kerbtraditionen feiern. Die Kerb, anlässlich des Jahrestages der Kirchweihe des Kirchengebäudes, wird in Dreieich seit über 300 Jahren gefeiert und befindet sich im Prozess der Aufnahme als immaterielles Kulturerbe der UNESCO. Wie andere Volkfeste dieser Art ist auch die Kerb in Dreieich mit Alkohol assoziiert.
Ziel des Präventionsprojektes ist es, die Bedeutung der Traditionen zu stärken und die Bedeutung des Alkohols zu schwächen. Ansatzpunkt für die Erreichung dieses Zieles ist die Motivation der Jugendlichen, im Ort als guter Kerbborsch zu gelten. Eine risikopädagogische Begleitung ist deshalb sinnvoll um Missbräuchen vorzubeugen, die Tradition gleichzeitig aber weiterleben zu können.
Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Anlass und Ausgangssituation
Die Idee zu diesem Projekt entstand 2012, wie so oft bei guten Ideen, aus der Not heraus. In der Öffentlichkeit bekam die „Haaner Kerb“ (Kirchweihfest in Dreieichenhain), eigentlich ein Fest aus Tradition, immer mehr den Ruf eines Saufgelages für Jugendliche, was auch so in der Presse zu lesen war. Es musste etwas geschehen, der Ruf der Kerbborschen musste besser werden, denn sonst wäre am Ende das traditionsreiche Fest in Gefahr. Der Bürgermeister von Dreieich und der Kerbverein nahmen deshalb Kontakt auf zum Suchthilfezentrum Wildhof. Die dort angesiedelte Fachstelle für Suchtprävention hatte zuvor bereits Workshops für Schüler in Dreieich organisiert und für deren Durchführung StudentInnen ausgebildet. Dazu gehörte auch eine Psychologiestudentin aus Dreieich, die die Haaner Kerb bestens kannte. So war ein persönlicher Zugang zu dieser ungewöhnlichen Zielgruppe möglich.
Die Jugendförderung im Kreis Offenbach bereitete damals die Umsetzung des HaLT-Projektes in den Kreiskommunen vor. Dazu wurde das Halt-Netzwerk gebildet, wo viele Institutionen aus Stadt und Kreis Offenbach mitarbeiten. Die Prävention für die Kerbborschen wurde von Anfang an als ein Baustein für HaLT-proaktiv aufgenommen. Nach einer Bedarfsanalyse in Vorgesprächen mit dem Bürgermeister von Dreieich, dem Kerbverein und der Fachstelle für Suchtprävention wurde die im folgenden beschriebene Maßnahme entwickelt, die erstmals im September 2012 und seitdem jährlich durchgeführt wurde.
Konzeption, Ziele und Zielgruppen
Was man über das Fest wissen sollte...
Die Haaner Kerb wird in Dreieichenhain nachweislich schon seit dem Mittelalter gefeiert. Bereits in der ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 1562 werden Alkoholexzesse beklagt:“ … jedermann schwelget und seuffet, bis endlich, wen sie voll und tholl sind, ein hawen und stechen darauss wirdt” (*).
Traditionell übernehmen junge Männer im Alter ab 17 Jahren als Kerbborschen die rituellen Aufgaben bei der Kerb: Sie stellen den Kerbbaum auf, machen den Bieranstich, taufen die nächstjährigen Kerbborschen und verbrennen die Kerb am letzten Tag. Einige dieser Traditionen sind eng mit Alkohol verbunden, andere weniger. Schon ein Jahr bevor die jungen Männer Kerbborschen sind, werden sie „Vorkerbborschen“ und begleiten bei ihrer „Vorkerb“ den aktuellen Jahrgang, um von ihm zu lernen. Als Kerbborsch wird man in die Erwachsenenwelt des Ortes aufgenommen. Dies bedeutet auch, dass viele Augenpaare beobachten, ob man seinen Kerbborschen-Job gut macht.
Zielsetzung des Projektes
Die Jugendlichen sollen darin unterstützt werden, in die Tradition hinein wachsen zu können, ohne dass sie durch Alkohol oder durch alkoholbedingte Gewalt gefährdet werden. Die Jugendlichen befinden sich in der besonderen Situation, mit 16 Jahren und wenig Alkoholerfahrung Hauptakteure eines Festes zu sein, in dem der Alkoholkonsum einen hohen Stellenwert besitzt. Zur ihrer geringen Erfahrung kommt oft auch hinzu, dass sie noch keine eigene Haltung zum Thema Alkohol entwickelt haben. Durch die Präventionsmaßnahme sollen die Bedeutung der Traditionen gestärkt und die Bedeutung des Alkohols geschwächt werden und die Jugendlichen sollen unterstützt werden bei der Entwicklung individueller Risikokompetenzen. Sie werden während des Festes durch die Bewohner Dreieichs beobachtet und es ist ihnen wichtig, in ihrem Heimatort als gute Kerbborschen zu gelten. Damit ist auch ihre Motivation für eine aktive Teilnahme am Präventionsprojekt gesichert.
Was bedeutet das bezüglich Alkohol? Ein Kerbborsch sollte trinkfest wirken, jedoch tunlichst nicht negativ als betrunken auffallen. Diese widersprüchliche Anforderung sollen die Vorkerbborschen reflektieren. In der gemeinsamen Diskussion werden der Umgang mit Alkohol und die eigenen Haltungen zum Alkoholkonsum besprochen. Dabei wird den Jugendlichen oftmals bewusst, dass sie die Bedeutung des Alkohols überschätzt haben. Als Resultat werden von jeder Gruppe Kerbborschen neu gemeinsame Trinkregeln aufgestellt, die dann für „ihre“ (!) Kerb gültig sind.
Vorgehen und Umsetzung in Präventionsworkshops
Seit September 2012 wird für die Vorkerbborschen ein spezieller Workshop durchgeführt, der wenige Wochen vor der Vorkerb stattfindet. Die Teilnahme daran ist für alle verpflichtend. Im Anschluss steht die Workshopleitung den Vorkerbborschen ein ganzes Jahr lang als Ansprechpartner zur Verfügung, wenn sich Fragen oder Probleme im Zusammenhang mit Alkohol ergeben. Am Ende dieses Jahres findet dann jetzt für die Kerbborschen kurz vor der Kerb eine Nachschulung bzw. Auffrischung ebenfalls in Form eines Workshops statt.
Zum Einstieg in den Workshop werden in einer Übung die individuellen Standpunkte reflektiert. Die Workshopleiter beteiligen sich daran als normale Teilnehmer und dienen mit ihrer persönlichen Meinung unter anderem als Modell. Durch Rauschbrillen erleben die Jugendlichen verschiedene Auswirkungen von Alkoholkonsum. Dabei wächst die Einsicht, dass ein betrunkenes Auftreten an der Kerb nicht akzeptabel für einen Kerbborsch ist. Im zweiten Teil des Workshops entwickeln die Kerbborschen eigene Verhaltensregeln für die Zeit der Kerb und legen auch Sanktionen für Verstöße gegen diese Regeln fest. Zuletzt gibt es konkrete Tipps für Erste-Hilfe-Maßnahmen in Notfallsituationen.
Die Workshopleiter
Besondere Bedeutung haben die zwei Leiter des Workshops: Sie beachten die persönliche Bedeutung des Festes für die Workshopteilnehmer und stellen die Traditionen nur sensibel und vorsichtig in Frage. Die Workshopleiter sind beide in Dreieich geboren und aufgewachsen. Sie sind selbst erst Mitte 20 und stehen so für die Jugendlichen noch ihrer Peer-Group nahe. Ein Workshopleiter kommt aus den Reihen des Kerbvereins und war im Jahr 2010 selbst Kerbborsch. Die zweite Leiterin ist ehemalige studentische Honorarkraft der Fachstelle für Suchtprävention und ist mittlerweile als M.Sc.-Psychologin (in Weiterbildung zur psychologischen Psychotherapeutin) im Suchthilfezentrum Wildhof tätig. Sie ist also auch Expertin zum Thema Alkohol.
Ergebnisse und Erreichtes: Der Erfolg der vergangenen Jahre
Auch wenn sich der Erfolg von Prävention stets schwer messen lässt, spricht das Verhalten der Kerbborschen für sich. Seit dem ersten Workshop im Jahr 2012 haben in jedem Jahr weitere Workshops stattgefunden. Diese wurden von den Teilnehmern stets positiv bewertet (zum Ende eines jeden Workshops werden die Teilnehmer befragt) und als hilfreich empfunden. Viele Kerbborschen suchen zwischen Vorkerb und Kerb den Kontakt und wenden sich mit ihren persönlichen Fragen und Erfahrungen bezüglich Alkohol (und Drogen) vertrauensvoll an die beiden Workshopleiter. Insgesamt lässt sich erkennen, dass die Jugendlichen bewusster konsumieren. Betrunken zu sein, ist peinlich und es gilt dies zu vermeiden.
Innovationsgehalt
Die vorgestellte Präventionsmaßnahme für die Kerbborschen baut eine Brücke zwischen einer alten Tradition und Kultur und einem zeitgemäßen Bewusstsein der Risiken von Alkoholkonsum. Sie ist speziell auf junge Männer zwischen 15 und 19 Jahren ausgerichtet. Die Gruppe der Kerbborschen wird mit diesem Projekt erstmalig angesprochen und auch erreicht. Die Schulung erfolgt durch Workshopleiter aus dem gleichen Wohnort, die positiv zur Kerbtradtition und Kerbkultur stehen. Der Kerbverein selbst ist in die Projektdurchführung eingebunden und arbeitet hier mit der Fachstelle für Prävention zusammen. Für die Jugendlichen ergibt sich so zusätzlich zur Übernahme der Rolle als Kerbborsch und damit der Initiation in die Erwachsenenwelt ein persönlicher Zuwachs an Wissen und Risikokompetenz zum Thema Alkohol.
Verhältnispräventive Ansätze werden umgesetzt mit der verpflichtenden Teilnahme an den Präventionsworkshops und mit den dort entwickelten Regeln, die z.B. den Konsum von Spirituosen während der Kerb ausschließen. Die Einrichtung eines Elternnotdienstes (ein Bereitschaftsdienst von Eltern für das Kerbborschencamp) ist ebenfalls eine verhältnispräventive Maßnahme.
Qualitätsmanagement wird gewährleistet durch regelmäßige Planungs- und Auswertungsgespräche zwischen Kerbverein, Workshopleitung und Fachstelle für Suchtprävention sowie durch die Einbindung in das „HaLT-Netzwerk“ aus Stadt und Kreis Offenbach. Das Projekt stellte sich am 18.06.2015 mit einem eigenen Workshop beim Fachtag „Alkoholprävention – eine Herausforderung für ALLE“ vor, der vom HaLT-Netzwerk im Rahmen der Aktionswoche Alkohol organisiert wurde. Ebenfalls vorgestellt hat sich das Projekt beim hessenweiten HaLT-Netzwerktreffen am 16.11.2015 in Frankfurt.
Das Projekt „Alkoholprävention für Kerbborschen“ ist eine Maßnahme für die Kommune Dreieichenhain und den Landkreis Offenbach, mit dem die „Haaner Kerb“ mit ihrer langen Tradition gesichert und zukunftsfähig erhalten wird.
(*) Aus der Klage des von 1549 bis 1566 in Dreieichenhain amtierenden Pfarrers Valentin Breidenstein, zitiert in dem Beitrag: „Die Haaner Kerb - Ein Fest mit langer Tradition“ auf der Internetseite der Haaner Kerb: www.haanerkerb.de
Fragen zum Wettbewerbsbeitrag
C 1 Fragen zur gesamtkommunalen Einbindung des Wettbewerbsbeitrags
C 2 Fragen zur Konzeption und Ausrichtung des Wettbewerbsbeitrags
Verwendung von Methoden aus dem Risflecting-Ansatz (Gerald Koller)
Interessengemeinschaft Haaner Kerbborsche e.V.
C 3 Fragen zur Umsetzung des Wettbewerbsbeitrags
Interessengemeinschaft Haaner Kerbborsche e.V.
Konzept Alkoholprävention mit Kerbborschen in Dreieichenhain
Projekt wurde im November 2015 dem hessischen HaLT-Netzwerk als empfehlenswertes Modell vorgestellt