Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Titel des Wettbewerbsbeitrags
Kurzfassung des Wettbewerbsbeitrags
Eingereicht wird ein Beitrag des Baden-Württembergischen Landesverbandes für Prävention und Rehabilitation gGmbH (bwlv), welcher von der Fachstelle Sucht Villingen-Schwennigen im Schwarzwald-Baar-Kreis durchgeführt und durch den Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg gefördert wird.
Suchtprävention orientiert sich an aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und nimmt somit geflüchtete Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund in den Fokus. Es gilt, sie als weitere Zielgruppe von Suchtprävention und migrationssensible Suchtprävention als gesamtgesellschaftliche Querschnittaufgabe zu begreifen. Ungünstige Migrations- und Integrationsbedingungen und -erfahrungen können die Vulnerabilität für Suchterkrankungen erhöhen. Besonders im Jugendalter findet eine Auseinandersetzung mit Suchtmitteln statt. Für eine nachhaltige Implementierung der Maßnahmen werden die kommunalen Strukturen und Netzwerke genutzt und die Jugendlichen in ihren Lebenswelten (Schule und Wohnraum wie Einrichtungen der stationären Jugendhilfe; Wohngruppen) angesprochen. Durch die suchtpräventive Arbeit mit den Adressat*innen und Multiplikator*innen findet Sensibilisierung, Aufklärung, Informationsvermittlung sowie der Abbau von Hemmschwellen ins Hilfesystem und das Schaffen entsprechender Zugänge statt. Dabei werden insbesondere migrations- und geschlechtsspezifische Themen aufgegriffen, bearbeitet und berücksichtigt. Hierfür wurden die interaktiven und vielfältigen Methoden der Suchtprävention migrations- und kultursensibel weiterentwickelt.
Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Anlass und Ausgangssituation
Das Modellprojekt „Suchtprävention für geflüchtete Mädchen und Jungen“ entstand aus Bedarfen der schulischen Lebenswelt sowie der stationären Jugendhilfe in Baden-Württemberg an migrationssensiblen suchtpräventiven Maßnahmen für diese Zielgruppe und dem Fehlen bereits vorhandener Angebote und Konzepte.
Da sich Suchtprävention an aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen orientiert, hat sie den Auftrag, auch geflüchtete Menschen als Zielgruppe in den Fokus zu nehmen. Die traumatischen Erfahrungen von Krieg und Flucht, Gewalt und Folter aus der Heimat, die neue Situation in Deutschland, die meist mit ungewisser Bleibeperspektive verbunden ist, stellen Belastungssituationen dar, die die Vulnerabilität für die Entwicklung einer Sucht erhöhen können (vgl. Flory und Krebs 2016). Suchtmittelkonsum aus Langeweile und/oder zur Selbstmedikation sind Aspekte, die dabei eine Rolle spielen (vgl. Khantzian 1997).
Dies unterstreicht die Notwendigkeit, für diese Personengruppe Zugänge ins Hilfesystem zu schaffen und zu erleichtern und mögliche Hemmschwellen zur Inanspruchnahme von Hilfen abzubauen.
Konzeption, Ziele und Zielgruppen
Das Projekt rückt geflüchtete Mädchen und Jungen als weitere Zielgruppe von Suchtprävention in den Fokus und verankert die Maßnahmen langfristig im gesamten System. Durch die regelmäßige Teilnahme an den Sozialraumkonferenzen der Kommunen des Schwarzwald-Baar-Kreises kann das Projekt im gesamten Landkreis implementiert werden. Die dezentrale Verbandsstruktur des bwlvs ermöglicht es zudem, dass die Ergebnisse in weiteren Landkreisen in Baden-Württemberg implementiert und umgesetzt werden können.
Durch die Arbeit mit den Jugendlichen sowie den Multiplikator*innen erfolgt eine Sensibilisierung zu den vielschichtigen Themen des Suchtmittelkonsums und den damit verbundenen Risiken. Es werden Hemmschwellen zum Hilfesystem abgebaut und Zugänge erleichtert. Bewährte Module und Methoden der Suchtprävention wurden überarbeitet und für die Arbeit mit der Zielgruppe angepasst. Aufgrund von Sprachbarrieren werden mit bildgestütztem Material auf die migrations- und geschlechtsspezifischen Unterschiede in Bezug auf Suchtmittelkonsum eingegangen.
Für die Durchführung des Projektes werden vorhandene Strukturen wie beispielsweise die durch die schulische Suchtpräventionsarbeit bestehenden Kontakte zu Trägern der Schulsozialarbeit genutzt. Falls erforderlich, werden neue Netzwerke geknüpft und aufgebaut.
Das Projekt richtet sich an geflüchtete Mädchen und Jungen im Alter von zwölf bis 21 Jahren, insbesondere an unbegleitete minderjährige Asylbewerber*innen in den Settings Schule und Wohngruppen der stationären Jugendhilfe und verfolgt dabei einen migrations-, kultur- und gendersensiblen Ansatz. Konsummotive und Gewohnheiten von Mädchen und Jungen unterscheiden sich grundlegend. Darüber hinaus werden kulturelle Einflüsse in Bezug auf Suchtmittelkonsum von Mädchen und Jungen und die möglichen (gesellschaftlichen, sozialen, rechtlichen, …) Auswirkungen thematisiert und reflektiert. Somit wird ein ganzheitlicher und partizipativer Ansatz verfolgt.
Die entsprechenden Multiplikator*innen stellen eine weitere Zielgruppe dar, insbesondere werden die Sozialarbeitenden im stationären Setting und in der Schulsozialarbeit erreicht.
Vorgehen und Umsetzung
Durch die suchtpräventive Arbeit erfolgt eine Sensibilisierung der Adressat*innen sowie der Multiplikator*innen, Hemmschwellen zum Hilfesystem werden abgebaut und entsprechende Zugänge geschaffen. Dies erfolgt durch Kooperationen und Vernetzung mit den lokalen Akteuren.
Durch den Einsatz von weiterentwickelten und bild- und filmbasierten Methoden wird mit vorhandenen Sprachbarrieren umgegangen. Insbesondere das Herausarbeiten der migrationsspezifischen Unterschiede im Umgang mit Suchtmitteln stellt eine Neuerung im Bereich der Suchtprävention dar. Die Module und Methoden werden stetig an neue Bedarfe angepasst, überarbeitet und verbessert. Dies erfordert einen regelmäßigen Austausch sowie Praxiserfahrungen.
Es finden drei aufeinanderfolgende Workshops im Abstand von einer Woche zwischen den Modulen mit einem Zeitumfang von jeweils 2,5 Stunden statt. Die Module enthalten unter anderem die Bearbeitung des Verständnisses von Gesundheit und Krankheit, suchtbezogene Informationen mit dem Schwerpunkt auf Alkohol und Cannabis, den Austausch über persönliche Erfahrungen und die Reflexion des eigenen Konsumverhaltens, die rechtliche Lage in Deutschland und das Hilfesystem sowie den Abbau von Hemmschwellen zur Inanspruchnahme von Hilfen und dem Schaffen entsprechender Zugänge. Im Rahmen jeder Maßnahme werden sowohl Schutzfaktoren und Ressourcen herausgearbeitet und gestärkt als auch migrations- und geschlechtsspezifische Themen aufgegriffen und bearbeitet.
Wie bereits beschrieben, werden die vorhandenen Strukturen und Netzwerke sowie bereits bestehenden Kontakte genutzt und weiter ausgebaut. Darüber hinaus entsteht durch das Projekt eine engere Vernetzung zwischen migrationsspezifischer Jugendhilfe und Suchthilfe.
Ergebnisse und Erreichtes/Wirkungen
Im Rahmen des Modellprojekts im Schwarzwald-Baar-Kreis wurde bereits eine Wirkungsevaluation über eine Vorher-Nachher-Befragung (Eingruppen-Pretest-Posttest Plan) durchgeführt. Über einen Fragebogen in leicht verständlicher Sprache wurden 80 Mädchen und Jungen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren (Durchschnittalter 17,77 Jahre) erreicht. Diese Selbstevaluation gibt erste Hinweise, dass die Maßnahme positive Effekte zeigt und die Ziele des Projekts erreicht werden.
Die Evaluation weist eindeutig positive Effekte über suchtbezogenen Wissensaufbau (Ziel 1) der Jugendlichen auf. Der Kenntnisstand über das Hilfesystem war bereits bei der ersten Maßnahme hoch (Ziel 2). Allerdings suchten durch die Maßnahme mehrere Jugendliche den Kontakt zur Beratungsstelle. Beim Wissensaufbau in Bezug auf Schutzfaktoren (Ziel 3) haben 95,8 Prozent der Jugendlichen, die beim ersten Befragungszeitpunkt falsch geantwortet haben, beim zweiten Mal richtig geantwortet, sodass das davonausgegangen werden kann, dass ein Wissensaufbau durch die Maßnahme stattgefunden hat, obwohl wir bei diesem Ergebnis keine Signifikanz verzeichnen können. Der durchschnittliche Tabakkonsum (Ziel 4) der Jugendlichen ging leicht zurück sowie der tägliche Konsum. Einige Jugendliche haben nach Beendigung der Maßnahme mit dem Rauchen aufgehört und keine/r hat das Rauchen begonnen. Auch beim Alkoholkonsum (Ziel 4) zeigt sich, dass 30 Prozent der Jugendlichen ihren Konsum reduziert haben. Allerdings haben auch 3 Prozent angefangen, Alkohol zu trinken. Zu beachten ist, dass jedoch ein Großteil der Jugendlichen bereits vor der Maßnahme keinen Alkohol konsumiert hat, was sich nach Beendigung der Maßnahme weiter verfestigen konnte.
Die Stichprobe der Jugendlichen bildet durch ihre Alters-, Geschlechts- und Herkunftsstruktur die Gesamtheit der geflüchteten Jugendlichen in Deutschland ab. Anhand dieser Ergebnisse kann davon ausgegangen werden, dass die Maßnahme wirkungsvoll ist und ihre Ziele erreicht. Eine Ausweitung auf weitere Standorte wird angestrebt, wo die Evaluation fortgeführt wird. Die wissenschaftlichen Instrumente hierfür sind vorhanden.
Das Projekt ist in eine kommunale Gesamtstrategie eingebunden, indem die Fachstellen in regionale Netzwerke der Suchthilfe und -prävention sowie in Sozialraum- und Gesundheitskonferenzen eingebunden sind mit dem Ziel, einen Beitrag zur Gesundheitsförderung in der Kommune bzw. dem Landkreis zu leisten.
Ein Filmbeitrag von RegioTV gibt einen Einblick in das Projekt. Dieser ist abrufbar unter folgendem Link: https://www.regio-tv.de/mediathek/video/fachstelle-sucht-berät-geflüchtete-jugendliche/
Nach der Definition von Hurrelmann (1990), wonach Gesundheit als ein Zustand einer Person betrachtet werden kann, welcher gegeben ist, wenn diese Person sich in den physischen, psychischen und sozialen Bereichen ihrer Entwicklung im Einklang mit den eigenen Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet, ergibt sich für den bwlv als sozialer Träger und den Schwarzwald-Baar-Kreis den Auftrag, daran mitzuwirken.
Gelungene Integration von Migrant*innen ist deshalb immer auch eine gesellschaftliche bzw. kommunale Gesundheitsfürsorge. Denn erfolgreiche Integration erfordert psychische Gesundheit und Stabilität.