Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Titel des Wettbewerbsbeitrags
Kurzfassung des Wettbewerbsbeitrags
Bei dem suchtpräventiven Konzept „High sein, frei sein?“ handelt es sich um ein Projekt in den siebten Schulklassen der ortsansässigen Realschule sowie des Gymnasiums. Die Durchführung erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt des Landkreises Fürstenfeldbruck sowie der zuständigen Polizeiinspektion. Das Konzept ist in zwei Schwerpunkte unterteilt. Neben der rechtlichen Aufklärung durch den Jugendbeamten der Polizeidienststelle im ersten Treffen, werden an einem zweiten Termin Sozialarbeiter*innen des städtischen Jugendzentrums sowie des Gesundheitsamtes soziale, persönliche und substanzspezifische Aspekte mit den Schüler*innen erörtern. Die Schüler*innen erarbeiten hier in Kleingruppen verschiedene Substanzkategorien, setzen sich mit den Begriffen Genuss, Missbrauch, Abhängigkeit auseinander und trainieren die eigene Genussfähigkeit.
Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Anlass und Ausgangssituation
Kinder und Jugendliche in Puchheim (und überall) sind in ihrer Lebenswelt vielerlei Suchtverhalten, Substanzen und Konsumanreizen ausgesetzt. Da die Lehrer*innen der Schulen mit dem Unterrichtsstoff und Lehrplan ausgelastet sind, wurden das Jugendzentrum vor einigen Jahren sowie das Gesundheitsamt seit 2017 als Kooperationspartner angefragt, um die wichtige Aufgabe der Suchtprävention fachlich adäquat abdecken zu können. Die Schulen beobachteten in den letzten Jahren einen Anstieg von Konsumvorfällen und wollten dieser Situation möglichst schnell und präventiv entgegenwirken. Das Konzept wurde letztes Jahr entwickelt und löste das vorherige Präventionsprojekt an den Schulen ab. Die Überarbeitung und Neuorientierung sollen eine stärkere Partizipation der Jugendlichen gewährleisten und durch die Trennung von rechtlichem und pädagogischem Teil eine Sicherheit für die Schüler*innen sowie eine klare Abgrenzung zwischen den involvierten Instanzen bieten. In mehreren Vortreffen entwickelten Jugendsozialarbeiter*innen, Schulsozialpädagog*innen, der Jugendbeauftragte der Polizeiinspektion sowie die Pädagogin des Gesundheitsamts das Konzept „High sein, frei sein?“. Nach Absprache mit den zuständigen Schulleitungen, dem Elternbeirat als Kostenträger und einer Abstimmung mit den Lehrer*innen wird das Projekt nun einmal schuljährlich in allen siebten Klassen der Realschule und des Gymnasiums organisiert. Um die Qualität und Aktualität des Konzepts gewährleisten zu können, finden in regelmäßigen Abständen Kooperationstreffen innerhalb des jeweiligen Schultyps statt.
Konzeption, Ziele und Zielgruppe
Das Projekt findet einmal schuljährlich in den siebten Klassen zweier weiterführender Schulen in der Kommune statt. Pro Klasse werden insgesamt vier Schulstunden, also 180 Minuten, angesetzt. Diese unterteilen sich in einen Rechtsteil, welcher 45 Minuten umfasst und vom Jugendbeamten der Polizei als Vortrag gehalten wird. Unterstützend begleitet wird der Beamte von einer/m Sozialpädagogin/en der Schule oder des Jugendzentrums. Um den Zeit- und Organisationsaufwand möglichst gering zu halten, werden hier immer zwei Schulklassen zusammengefasst. Wichtig ist hierbei vor allem die konsequente Unterscheidung der Zuständigkeiten und Arbeitsbereiche von Polizei und Sozialpädagogik. Den Schüler*innen muss klar werden, dass eine Ermittlungspflicht seitens der Behörde besteht und sie aber gleichzeitig Beratung von den Pädagog*innen erhalten können, ohne sich über sofortige rechtliche Konsequenzen sorgen zu müssen. Die drei weiteren Schulstunden finden in jeder Klasse einzeln an je einem Vormittag statt. Aufgrund des geringen Zeitrahmens können nicht alle Aspekte von Sucht aufgegriffen werden. Daher wird sich auf die wichtigsten inhaltlichen Themen beschränkt. In diesem Konzept sind das vor allem die Suchtentstehung, Fallbesprechungen, Analyse der gängigsten Substanzen und Verhaltenssüchte sowie ein Genusstraining.
Das Projekt beinhaltet folgende Ziele
- Den Kindern und Jugendlichen wird ihre rechtliche Situation transparent gemacht. Neben dem Kennenlernen der sozialpädagogischen Arbeit und der Arbeit der Polizei wird über die Konsequenzen des Konsums von Rauschmitteln und die Folgen abhängigen Verhaltens aufgeklärt. Gleichermaßen wichtig ist, dass die Schüler*innen den Unterschied zwischen polizeilicher und sozialpädagogischer Arbeit kennenlernen (z.B. Schweigepflicht und Legalitätsprinzip).
- Die Schüler*innen erarbeiten sich die Vielfalt unterschiedlicher Süchte und lernen Abhängigkeitsmechanismen und Konsummuster kennen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf den Umgang mit neuen Medien wie Spielekonsolen oder Browsergames gelegt.
- Den Jugendlichen wird der Unterschied zwischen Genuss, Missbrauch und Abhängigkeit erklärt und praktisch gezeigt. Dabei müssen sie selbst die zum Teil schwammigen Grenzen festlegen und lernen dabei typische Suchtmerkmale und Alarmsignale, wie sozialer Druck, Toleranzentwicklung oder Kontrollverlust kennen.
- Die Jugendlichen sollen in dem Projekt weder abgeschreckt, noch soll ihre Neugierde geweckt werden. Vielmehr soll ihnen ein verantwortungsvoller Umgang mit suchtgefährdenden Stoffen und Verhaltensweisen ermöglicht werden.
In der begrenzten Zeit kann nicht jedes Ziel ausreichend thematisiert und umgesetzt werden. Welche Ziele in einer Schulkasse schwerpunktmäßig im Vordergrund stehen, muss mit der/dem Schulsozialpädagogin/en und Lehrer*innen im Vorfeld abgeklärt werden.
Als Zielgruppe werden die siebten Klassen, also Schüler*innen im Alter zwischen 13 und 15 Jahren der Realschule sowie des Gymnasiums Puchheim gesehen. Hier hat sich Suchtverhalten meist noch nicht manifestiert, sodass wirklich präventive Arbeit geleistet werden kann. Ein besonderes Augenmerk soll vor allem auf der Verhinderung bzw. Minimierung zukünftigen schädlichen Konsumverhaltens (15 bis 17 Jahre) liegen. In diesem Alter ist die Situation oftmals akuter und der Substanzkonsum heterogener. Es kann von überzeugter Abstinenz über erstes Experimentierverhalten bis hin zu regelmäßigem Missbrauch des Suchtverhaltens reichen. Um möglichst davor schon ein Bewusstsein zu schaffen, ist die frühzeitige Aufklärung in den siebten Klassen unabdingbar.
Vorgehen und Umsetzung
Das Konzept ist in die beiden Schwerpunkte Recht und Sozialpädagogik unterteilt. Der Rechtsteil wird als Vortrag des Polizisten bezüglich des Betäubungsmittelgesetzes sowie damit verbundene Straftaten gestaltet. Weitere wichtige Aspekte sind das Verhalten im Straßenverkehr und mögliche Konsequenzen im Zusammenhang mit dem Erhalt des Führerscheins. Aufgrund der Aktualität von Neuen Medien gibt es außerdem eine Schilderung der geltenden Altersbeschränkungen und der Rechtslage bei Videospielen, Social Media und dem Datenschutz. Im sozialpädagogischen Projektteil werden zunächst die Aufgaben der Sozialarbeit in Bezug auf Sucht und Beratung geklärt und von den Ermittlungspflichten der Polizei. Zwar besitzt die/der Sozialarbeiter*in in der offenen Jugendarbeit kein Zeugnisverweigerungsrecht und kann, rechtlich gesehen, gezwungen werden, vollständig auszusagen. Dass dies aber nicht nur das Vertrauensverhältnis zwischen Jugendlichem und Pädagog*in grundsätzlich zerstört, sondern auch das Verhältnis zwischen Polizei und Sozialarbeit nachhaltig gefährdet, liegt auf der Hand. Den Jugendlichen soll bewusst werden, dass sie durch den Kontakt zu Sozialpädagog*innen nicht automatisch in Kontakt mit der Polizei kommen. Danach wird die Klasse in Kleingruppen aufgeteilt, die sich selbstständig finden. Jede Gruppe erhält ein Thema: Alkohol, Rauchen, Illegale Substanzen, Medien (Jungs) und Medien (Mädchen), sodass fünf Gruppen 15 Minuten lang die wesentlichsten Aspekte der jeweiligen Sucht herausarbeiten. Dazu gehören eine Wiederholung der rechtlichen Situation, Alarmsignale des Konsums, Statusfunktion (z.B. Gruppendruck) und sonstige Konsequenzen des Konsums zu erarbeiten. Ziel ist die Erstellung einer fünfminütigen Kurzpräsentation. Dabei werden sie von den Pädagog*innen unterstützt. Nachdem die fünf Präsentationen den anderen Gruppen dargestellt wurden, kommt es zur Abschlussübung. Die Schüler*innen ziehen unterschiedliche Fallsituationen, lesen diese laut vor und ordnen sie nach einer Diskussion innerhalb der Klasse in drei Kategorien ein: Genuss, Missbrauch oder Abhängigkeit. Wichtig ist hierbei, dass sie erkennen, wie schwer diese Grenzen manchmal einzuordnen sind und welche Alarmsignale es gibt. Anschließend wird in einer kurzen Übung die Genussfähigkeit trainiert. Eine Achtsamkeits- und Entspannungsübung zum Thema Schmecken, Fühlen und Genießen hilft den Schüler*innen ihre Wahrnehmung zu schulen und die eigenen Empfindungen besser kennen zu lernen.
Ergebnisse und Wirkungen
Eine gezielte Evaluation findet nicht statt. Dennoch können die agierenden Pädagog*innen schon während der Durchführung die Reaktionen der Schüler*innen beobachten und in einer abschließenden Feedback-Runde erste Erkenntnisse ziehen. In einem Nachtreffen aller beteiligten Institutionen (Schulsozialarbeit, Polizei, Gesundheitsamt und Jugendamt) können Erfahrungen und weitere sinnvolle Maßnahmen erörtert werden. Bisherige positive Auswirkungen können im Rahmen der offenen Jugendarbeit verzeichnet werden. So erfolgten bereits außerhalb des schulischen Settings des Konzepts weiterführende Einzelberatungsgespräche. Die Schüler*innen suchen sich demnach frühzeitig selbstständige Hilfe. Das könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass durch das Projekt „High sein, frei sein?“ erste Berührungsängste zu den pädagogischen Instanzen abgebaut wurden und die gesetzlichen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise Schweigepflicht oder Jugendschutz, bereits bekannt sind.
Erfüllung der vorgegebenen Bewertungskriterien
Das vorgestellte Konzept ist aktuell noch nicht in ein kommunales Gesamtkonzept eingebunden, welches zukünftig jedoch angestrebt werden soll. Dieses sollte neben der Jugendarbeit und den Schulen auch ältere/erwachsene Bürger ansprechen und Frühprävention in den KITAS und Grundschulen ermöglichen. Wünschenswert wäre ein Gesamtkonzept „von der Wiege bis zur Rente“ für alle Bürger*innen Puchheims.
Eine Evaluation findet derzeit nur in den Vor- und Nachbesprechungen der beteiligten Akteur*innen statt und beruht auf persönlichen Eindrücken und Wahrnehmungen. Wünschenswert wäre eine statistische Auswertung, wobei Evaluationen im Bereich der Suchtprävention bekanntermaßen schwer zu messen sind. Ideen für eine mögliche Untersuchung wäre eine Kooperation mit der Hochschule München, da diese bereits in der kommunalen Forschung involviert ist.
Da die Jugendarbeit von der Stadt Puchheim getragen ist, besteht hier ein enger Austausch auf Fachbereichs- sowie kommunalpolitischer Ebene. Die politischen Entscheidungen und Handlungen der letzten Jahre kommen präventiven Angeboten sehr entgegen. So hat sich die Stadt beispielsweise durch das Siegel der Kinderfreundlichen Kommune dazu verpflichtet, einen kinder- und jugendfreundlichen Sozialraum zu schaffen, der ein gesundes, glückliches und partizipatives Aufwachsen in der Kommune sicherstellt.
Das bereits entwickelte Konzept sowie die Suchtprävention in der offenen Jugendarbeit sind ganzheitlich angelegt und entsprechen aktuellen verhaltenspräventiven methodischen Maßnahmen. Bereits entwickelte und bestehende Vernetzungen können auch für ein zukünftiges Gesamtkonzept genutzt werden.
Besonders hervorzuheben ist der Anspruch des Konzepts „High sein, frei sein?“ in die Lebenswelt der Jugendlichen zu treten und trotz der Umsetzung innerhalb des Schulkontextes eine Grenze zwischen den Institutionen zu ziehen. Damit kann ein offener und vertrauensvollerer Zugang geschaffen werden als zu den Lehrer*innen oder Eltern.
Die Kooperation zwischen den Institutionen ist langfristig angelegt und konnte sich in den letzten Jahren bereits beweisen. Die wiederholten Anfragen der Schulen sowie die gute persönliche wie fachliche Zusammenarbeit der Beteiligten sprechen für sich. So sind weitere Präventionsprojekte in den höheren Schulklassen, die auf das vorgestellte Konzept aufbauen, bereits in Planung.
Das Projekt ist suchtübergreifend entwickelt worden und thematisiert neben den substanzgebundenen Süchten auch Verhaltenssüchte. Gerade Internet bzw. Social Media oder Online Games spielen hierbei einen entscheidenden Charakter. Bei den Substanzen liegt der Schwerpunkt auf Alkohol und Nikotin als legale Konsummittel sowie Cannabis im illegalen Bereich. Weiterhin werden MDMA/Extasy, Opiate, Benzodiazepine und Kokain thematisiert. Das Konzept wünscht jedoch Fragen und Partizipation der Jugendlichen und ist daher offen für konkrete Anfragen oder spezielle Themen. Wichtiger als Fachwissen über Konsum und Substanzen ist, dass den Jugendlichen ein Bewusstsein über Genuss, Missbrauch und Abhängigkeit vermittelt wird, das sie in ihrer eigenen Lebenswelt umsetzen können. Die Fähigkeit und Achtsamkeit auf Alarmsignale des Körpers oder der Psyche im stressigen Pubertätsalltag zu hören und wahrzunehmen, kann nicht in den 180 Minuten des „High sein, frei sein?“-Projekts erlangt werden. Es ist jedoch sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.