Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Titel des Wettbewerbsbeitrags
Kurzfassung des Wettbewerbsbeitrags
Prävention sollte in der Lebenswelt von Jugendlichen ansetzen, bevor sich riskante oder sogar missbräuchliche Konsummuster gefestigt haben.
Demnach ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema Cannabis ab der achten Jahrgangsstufe im schulischen Setting sehr sinnvoll. Vor Ort erreicht man alle Schüler*innen, durch die Heterogenität der Zielgruppe ermöglicht der Berliner Präventionsparcours Cannabis das Erleben und Erlernen von Risikokompetenz durch den Einsatz interaktiver Methoden und den Austausch der unterschiedlichen Erfahrungen und Sichtweisen. Der Cannabis Präventionsparcours "Quo Vadis" der Villa Schöpflin wurde mit ihrer Genehmigung und mit der finanziellen Unterstützung der BKK VBU für Berlin adaptiert und aktualisiert.
Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Hintergrund und Umsetzung
Cannabis ist die mit Abstand meist konsumierte illegale Droge in Deutschland. Die Drogenaffinitätsstudie 2018 der BZgA zeigt, dass 42,5 % der 18 – 25jährigen bereits Cannabis konsumiert haben. Bei den 12-17-jährigen sind es bereits 10 %. Zu den Vorjahren ist ein Anstieg zu beobachten.
Cannabiskonsum gilt bei vielen jungen Menschen als cool und als „in der Gesellschaft akzeptiert“. Insbesondere in Berlin wird häufig in der Öffentlichkeit Cannabis konsumiert und bei Berliner Jugendlichen ist der Cannabiskonsum höher als im bundesdeutschen Durchschnitt. Eine aktuelle Erhebung der Fachstelle für Suchtprävention Berlin (2019) zeigt:
Über ein Drittel der befragten Berliner Schüler*innen im Alter von 12 bis 18 haben bereits Erfahrungen mit Cannabis gemacht. Auch das Alter bei Erstkonsum ist mit durchschnittlich 14,6 Jahren auffallend gering. Fast jede*r zweite befragte Jugendliche weist Merkmale einer Suchtgefährdung auf.
Nicht nur unter jungen Personen wird zuweilen immer wieder davon ausgegangen, dass der Besitz von Cannabisprodukten legal sei. Die Risiken und möglichen Folgen des Konsums werden in der Öffentlichkeit sowie in Fachkreisen höchst unterschiedlich bewertet. Dies kann zu Unsicherheiten, auch bei Eltern und pädagogischen Fachkräften, führen und viele Fragen aufwerfen. Birgt der Konsum von Cannabis mögliche negative Folgen? Ist der Besitz von Cannabis illegal? Wie geht man mit jungen Cannabiskonsument*innen um?
Cannabiskonsum kann zu sozialen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Insbesondere das Jugendalter ist eine sensible Phase, in der sich der Konsum von Cannabis ungünstig auswirken kann. Mögliche Folgen können u.a. eine Beeinträchtigung der psychosozialen Entwicklung, ein erhöhtes Risiko für Verkehrsunfälle und längerfristig die Entwicklung einer Abhängigkeit sein. Insbesondere bei frühzeitig einsetzendem Konsum steigt das Risiko, eine Abhängigkeit zu entwickeln.
Um Unwissenheit und Unsicherheit begegnen zu können und es jungen sowie erwachsenen Menschen zu ermöglichen, sich kritisch mit dem Suchtmittel Cannabis auseinanderzusetzen, bedarf es mehr als nur reiner Informationsvermittlung. Der an die Berliner Bedarfe angepasste Präventionsparcours Cannabis bietet als interaktiver Parcours genau diese Chance. Der Mitmachparcours richtet sich an Schüler*innen im Alter von 13 bis ca. 18 Jahren.
Der in der Cannabisprävention bewährte interaktive Parcours „Cannabis- Quo Vadis“ der Villa Schöpflin (Präventionsfachstelle in Baden-Württemberg) wird seit 2010 in Berlin angeboten. Der Berliner Präventionsparcours Cannabis besteht aus fünf unterschiedlichen Stationen:
Station 1: Wissen, Meinungen, Gerüchte - Vermittlung realsitischer Zahlen und Informationen
Station 2: Cannabis im Straßenverkehr - ein Blick auf die Fahrtüchtigkeit
Station 3: Lebenspläne, Ziele und Wünsche - was hat Cannabis damit zu tun?
Station 4: Was Eltern dazu sagen - besser miteinander im Gespräch bleiben
Station 5: Problematischer Cannabiskonsum - wie damit umgehen?
Der Parcours wurde nun dank der finanziellen Unterstützung von der BKK VBU als unkomplizierte und mobile Variante im Rucksackformat in mehrfacher Ausführung produziert und wurde in einem gesamtstädtischen Implementierungskonzept jedem Berliner Bezirk zur Verfügung gestellt: Die Koordinator*innen, Kontaktlehrer*innen für schulische Prävention sowie Schulsozialarbeiter*innen der einzelnen Bezirke lassen sich durch die Fachstelle für Suchtprävention Berlin zum Inhalt und zur Umsetzung schulen. Elf Berliner Bezirke haben einen eigenen Cannabis-Parcours zum Einsatz an Oberschulen erhalten. Ein Rucksack mit den Methoden hält die Fachstelle für Suchtprävention vor, um ihn an geschulte Moderator*innen kostenfrei auszuleihen. Insbesondere in den sogenannten Brennpunktbezirken findet der Präventionsparcours Cannabis regelmäßigen Einsatz. Die geschulten Fachkräfte wurden in der praktischen Umsetzung davon überzeugt, dass die innovativen sowie interaktiven Methoden zum Austausch mit den Schüler*innen und unter den Teilnehmer*innen anregen. Das eigene Konsumverhalten wird hinterfragt und angebotene Hilfe bzw. Unterstützung z.B. durch die Schulsozialarbeit öfter angenommen. Um die Nachhaltigkeit und qualitative Umsetzung zu stärken, unterstützt die BKK VBU die Möglichkeit, ein Co-Teaching wahrzunehmen: Fühlen sich die geschulten Lehrkräfte oder Schulsozialarbeiter*innen in der Umsetzung noch nicht sicher, besteht die Möglichkeit, eine erfahrene Referent*in der Fachstelle für Suchtprävention für einen Durchlauf hinzuzuziehen. Diese*r begleitet und unterstützt in der praktischen Durchführung vor Ort.
Methodik des Parcours
Ein Durchgang des Parcours umfasst einen zeitlichen Rahmen von ca. zwei bis drei Schulstunden. Optimal ist eine Gruppengröße von 15 bis maximal 24 Jugendlichen. Alle Stationen werden von einem*r durch die Fachstelle Berlin ausgebildeten Moderator*in angeleitet. Der zum Parcours dazugehörige Moderationsleitfaden beschreibt detailliert den Ablauf sowie den Inhalt der einzelnen Stationen. Der Parcours besteht aus insgesamt fünf Stationen. Die fünf Stationen verfolgen verschiedene Ziele und sollen mehrere Botschaften an die Teilnehmenden transportieren.
Folgende Ziele werden mit der Durchführung des Parcours bei den Schüler*innen verfolgt:
- Anregung eines offenen Dialoges sowie Austausches und kritischer Auseinandersetzung mit dem Thema Cannabiskonsum
- Vermittlung von fachlich fundierten und realistischen Informationen sowie die Korrektur von Fehlinformationen über Cannabis
- Bestärkung von Nichtkonsument*innen in ihrer Haltung
- Bekanntmachen des Präventions- und Hilfesystems
Station 1: Wissen, Meinungen, Gerüchte
Station 1 vermittelt fachliche Informationen sowie realistische Zahlen zu Cannabis. Des Weiteren wird ein offener Dialog über mögliche Risiken des Gebrauchs von Cannabis angeregt sowie das Konsumverhalten der Jugendlichen erfasst. Es werden die Schilder „0 % und 100 %“ als Markierung auf den Boden gelegt und die Teilnehmer*innen sollen sich zu bestimmten Fragen zwischen diesen zwei Werten positionieren, je nachdem wie sehr sie der vorgetragenen Aussage zustimmen oder nicht. Fragen können z.B. sein: „Was denkst du, wie viele Leute kiffen?“ (Schild „0 %“ = „keiner kifft“, Schild 100 % = „alle kiffen“). Der Anteil der Konsument*innen wird häufig überschätzt. Durch das Richtigstellen von Fehleinschätzungen können Nichtkonsument*innen gestärkt und Konsument*innen zum Nachdenken angeregt werden, da sich Jugendliche besonders stark an der Mehrheitsmeinung innerhalb einer Gruppe orientieren. Weiterhin wird deutlich gemacht, dass Cannabis illegal ist und es wichtig ist, seine eigene Meinung als Nichtkonsument*in selbstbewusst zu vertreten.
Station 2: Cannabis im Straßenverkehr
An dieser Station findet eine Sensibilisierung für die Risiken des Fahrens unter Cannabiseinfluss statt. Rauschbrillen verdeutlichen die Wirkungen des Konsums auf Konzentration und Reaktionsfähigkeit. Die Jugendlichen tragen die Brille und werden in einem Rollenspiel angeleitet, welches einen Verkehrsunfall unter Drogeneinfluss thematisiert. Nach dem Rollenspiel werden die Erfahrungen der Jugendlichen ausgewertet und ein Schwerpunkt auf die Risiken von Cannabis im Straßenverkehr gelegt.
Station 3: Lebenspläne, Ziele, Wünsche
Station 3 liefert den Jugendlichen durch die Methodik der Biographiearbeit eine Anregung dazu, über eigene Lebenspläne, Ziele und Wünsche nachzudenken. Es soll deutlich werden, dass Lebenswege sehr individuell sind und oftmals Schwierigkeiten an Brüchen oder Hürden auftreten können. Ein wesentliches Ziel ist es, die Botschaft zu vermitteln, dass Substanzkonsum einen Einfluss auf die Gestaltung des Lebensweges hat. Methodisch werden hier zwei fiktive Personen (Hannah und Radek) in drei Lebensphasen dargestellt werden (15 Jahre, 25 Jahre, 35 Jahre). Zu jeder Person und jedem Lebensalter gibt es verschiedene Aussagen auf Karten. Die Schüler*innen erstellen nun ein Abbild von Hannah oder Radek in den drei Lebensphasen, in der Auswertung werden Fragen diskutiert wie „Wo finden weichenstellende Ereignisse statt?“, „Ab welchem Punkt hat Hannah/ Radek die Verantwortung für das eigene Leben?“, „Sind solche Brüche normal?“, „Welche Rolle kann der Cannabiskonsum für die eigene Entwicklung spielen?“.
Station 4: Was Eltern dazu sagen
An Station 4 haben die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, die Perspektive zu wechseln, sich in ihre Eltern hineinzuversetzen und über die eigene Beziehung zu den Eltern nachzudenken. Hierzu werden sechs Stoffbahnen mit unterschiedlichen Elternreaktionen in Bezug auf Cannabiskonsum des eigenen Kindes aufgehängt. Die dargestellten Reaktionen reichen von „sehr streng“ bis „gleichgültig“. Es werden drei Fragen gestellt: „Wie würde deine Eltern reagieren, wenn sie erfahren, dass du kiffst?“, „Wenn ihr euch eine Reaktion eurer Eltern wünschen könntet, welche wäre das?“, „Ihr seid selbst Vater oder Mutter, wie würdet ihr reagieren?“. Die Ergebnisse werden nach jeder Frage zusammengefasst und besprochen sowie die unterschiedlichen Positionen diskutiert. Den Jugendlichen soll bewusst werden, dass auch Eltern Ansprechpartner*innen sein können und es wichtig ist, offen für einen Perspektivwechsel zu sein. An dieser Station zeigt sich am häufigsten die Diversität der Elternhäuser, Erziehungsstile und Traditionen. Für die Schüler*innen ist es oft eine neue Erfahrung, sich mit den vermutlichen Reaktionen ihrer Eltern auseinanderzusetzen und diese zu benennen. Hier werden meistens religiöse und traditionelle Hintergründe der Erziehung diskutiert und die Teilnehmer*innen melden zurück, dass es ein neues Erlebnis für sie war, sich auch zu diesem Thema auszutauschen.
Station 5: Problematischer Konsum
Die letzte Station des Parcours dient dazu, das Hilfesystem kennenzulernen und verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten vorzustellen. Außerdem wird hier aufgezeigt, dass miteinander sprechen hilft und Freunde auch kritische Anmerkungen machen dürfen. Um dies zu erreichen wird noch einmal die Methode des Rollenspieles eingesetzt. Vier freiwillige Darsteller*innen spielen eine Situation nach: Die Lehrkraft findet im Klassenzimmer einen großen Joint und muss den Vorfall ansprechen. Ein Jugendlicher, der ständig kifft, ein Freund der das problematische Kiffen decken möchte und ein besorgter Klassenkamerad, der etwas tun, aber nicht als Verräter dastehen möchte, sind weitere Rollen. Anschließend erfolgt eine Auswertung und es werden Infobroschüren von Beratungsstellen und weitere Hinweise zu Hilfemöglichkeiten ausgegeben.
Die Innovation für Berlin zeigt sich auch in der praktischen Umsetzung. Es ist gelungen, dass zwei geschulte Personen mit einer Schulklasse (teilweise über 30 SuS) den Parcours durchlaufen können. Es werden lediglich zwei Räume benötigt, in die man einen guten Stuhlkreis sowie die Materialien des Parcours stellen kann .
Die Evaluationsergebnisse des Berliner Präventionsparcours bestätigen die Annahme, dass Schule der richtige Ort für interaktive Präventionsseminare ist. Die gewünschten Ziele können erreicht werden, es zeigt sich u.a. in der hohen Zufriedenheit der Durchführung von nahezu 90% der Schüler*innen, dass der Parcours eine hohe Akzeptanz in der Zielgruppe hat. Unter dem Punkt "Was hat dir besonders gut gefallen" benennen die Teilnehmer*innen oft z.B. die Interaktivität, die vertrauensvolle Atmosphäre, dass sie Neues zum Thema Cannabis ohne den belehrenden Zeigefinger erfahren haben.