Das Projekt „FESTKULTUR“ umfasst eine Reihe verschiedener Maßnahmen und Bausteine, die im Landkreis Sigmaringen mit dem Ziel der Alkoholprävention („Binge-Drinking“), des Jugendschutzes, der Gewaltprävention und der Verkehrsprävention auf den Weg gebracht worden sind.
Hintergrund des Projektes ist der fortschreitende Wandel der Abläufe und Inhalte von Festen dahingehend, dass die Kultur des Feierns in den letzten Jahrzehnten immer stärker von konsumorientierten Inhalten und weniger von den ursprünglichen Traditionen geprägt wird. Damit einher geht eine immer weiter fortschreitende Verlagerung des Zeitrahmens bei Festen bis spät nach Mitternacht; begleitet wird diese Verschiebung von einer größer werdenden Anzahl an unliebsamen Vorkommnissen vor allem nach 03:00 Uhr, insbesondere im Zusammenhang mit Alkohol. Die Polizei wird zunehmend wegen Streitigkeiten gerufen; die Ordnungskräfte haben zeitweilig alle Hände voll zu tun, Betrunkene aus der Veranstaltung zu bringen und Einlieferungen von volltrunkenen Jugendlichen in Krankenhäuser werden häufiger. Alkoholkontrollen bei abfahrenden Festbesuchern erzielen hohe Trefferquoten – nicht selten werden Festbesucher in alkohol- oder drogenbedingte Unfälle verwickelt. Verstöße gegen das Jugendschutz- und Gaststättengesetz geschehen vielfach – die Kenntnis dieser Regeln ist kaum vorhanden.
Das Projekt „Festkultur“ versucht, durch verschiedene Maßnahmen wieder die ursprüngliche Kultur des Feierns in den Vordergrund zu stellen und dabei die traditionellen Werte stärker hervorzuheben.
Im Einzelnen finden sich unter dem anspruchsvollen Titel FESTKULTUR folgende Projektbestandteile:
- Das „Eckpunktepapier“ ist das ordnungspolitische Gerüst. Hier sind die formalen Rahmenbedingungen für Feste festgeschrieben. Dieses Papier wurde in einem intensiven Prozess in allen 25 Gemeinden mit den Vereins- und Verbandsund Gemeindevertretern diskutiert, um Sensibilität für das Thema herzustellen. Nur über eine breitest mögliche Kommunikation der Hintergründe war eine freiwillige Selbstbeschränkung zu erreichen. Neben der Vorstellung der Standards und der Überzeugungsarbeit hierfür wurden auch weit reichende Informationen zum Jugendschutzgesetz, zum Gaststättengesetz und zum Hausrecht gegeben. Ziel war es, alle Kommunen im Landkreis Sigmaringen auf den Standard des Eckpunktepapiers zu verpflichten, was schließlich auch gelang. Die einzelnen Regelungen sind aus dem als Anlage beigefügten „Eckpunktepapier“ ersichtlich.
- Zur Erreichung einer einheitlichen Genehmigungspraxis ist die Einbeziehung der Stadt- und Gemeindeverwaltungen unerlässlich, denn dort werden die Gestattungen nach dem Gaststättengesetz ausgestellt und dort entscheidet sich auch, ob und ggf. welche Auflagen gemacht werden, um einen reibungslosen Festverlauf zu gewährleisten. Daneben ist die Beratung des Festveranstalters ein unverzichtbares Element.
- Als Weiterentwicklung des Eckpunktepapiers wurde ein Gütesiegel für Feste entwickelt. Das so genannte Fairfest-Siegel ist zwischenzeitlich ein eingetragenes Markenzeichen und besitzt ein markantes Logo für die Öffentlichkeitsarbeit. Wer mit diesem Siegel sein Fest bewerben will, muss sich an eine Vereinbarung mit 10 Punkten halten, die in bestimmten Bereichen über die Vorgaben des „Eckpunktepapiers“ hinaus gehen (z.B. „One-Way-Ticket“); vgl. hierzu im Einzelnen den als Anlage beigefügten Flyer, in dem die 10 Punkte detailliert aufgeführt sind. Vor allem für Eltern ist dieses Gütesiegel ein Garant dafür, dass der Veranstalter auf den Jugendschutzaspekt Wert legt. Dafür wird der Veranstalter von den Projektverantwortlichen und der örtlichen Presse unterstützt.
- Im Teil „Videoprojekt“ treten wir mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen in einen Meinungsaustausch über Festkultur ein und auch in den Dialog mit den Jugendlichen. Junge Menschen sollen nicht Objekt des Handelns sein, sondern aktiv in die Gestaltung des Projektfortgangs einbezogen werden. Das Videoprojekt läuft noch bis Ende 2008. Junge Menschen legen ihre Sicht der Dinge dar, indem sie Vorbereitung und Durchführung von Festen dokumentieren. Dabei ist einerseits die Sicht der Veranstalter als auch die der Festbesucher interessant.
Die einzelnen Projektbausteine wurden und werden in äußerst enger Zusammenarbeit zwischen dem Jugendamt, der Polizei und der Suchtberatungsstelle im Landkreis Sigmaringen entwickelt und umgesetzt. Dabei entstand eine sehr intensive, vertrauensvolle und innovative, fachstellenübergreifende Zusammenarbeit, die sich mit dem hochaktuellen und viel diskutierten Thema des „Feste-Feierns“ auseinandersetzt – und sich auch auf andere gemeinsame Bereiche sehr positiv und gewinnbringend auswirkt.
Darüber hinaus werden im Rahmen des Projekts Festkultur möglichst alle Beteiligten mit in die Umsetzung und Weiterentwicklung einbezogen:
- Die Festveranstalter, die zusehen müssen, wie ihre Zielgruppe immer später zum Fest erscheint, die Feste zu fortgeschrittener Stunde im Handling immer schwieriger werden und Negativ-Schlagzeilen ein Fest zunichte machen können.
- Die Eltern vor allem jugendlicher Festbesucher, die nicht mehr wissen, wo ihre Kinder eigentlich hingehen und was dort passiert. Sie suchen nach Wegweisungen zu Festen, an denen die Gefährdung für ihre Kinder möglichst niedrig ist.
- Die jugendlichen oder jungen Festbesucher, die in der Mehrheit ablehnend den Exzessen gegenüberstehen und sich klare Regelungen wünschen.
- Die Ordnungsbehörden (Bürgermeisterämter und Polizei) die längst erkannt haben, dass die bestehenden Gesetze und Vorschriften oftmals nicht gekannt und nur selten umgesetzt werden.
- Schließlich sind auch die regionalen Tageszeitungen feste und offizielle Kooperationspartner des Projektes und unterstützen dieses durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, was speziell für dieses Projekt sehr wichtig und äußerst hilfreich ist.
Eine erste Evaluation bei den Festveranstaltern und der Polizei bestätigt die Wirksamkeit des Projektes: Die Veranstalter sehen die Einführung der „Eckpunkte“ als eine Verbesserung für ihre Feste. Zwar gehe der Getränke- (und vor allem der Alkohol-)umsatz zurück, dafür seien die Feste aber friedlicher und die Stimmung besser. Die anfänglichen Befürchtungen, dass die Besucher weg bleiben, haben sich nicht bestätigt. Die Polizei berichtet über deutlich weniger Einsätze im Zusammenhang mit Festveranstaltungen. Die Veranstalter sind ermutigt, bereits im Vorfeld mit der Polizei zusammenzuarbeiten, Hemmschwellen auf beiden Seiten sind abgebaut. Werbung mit günstigem Alkohol kommt mittlerweile nur noch in Einzelfällen vor, was jeweils durch das Jugendamt beim zuständigen Bürgermeisteramt angemahnt wird und was bislang in allen Fällen zu einer konstruktiven Diskussion zwischen Veranstalter und den jeweiligen Präventionsstellen führte.
Die Erfahrung der letzten 3 Jahre zeigt, dass wir einen weitreichenden Diskussionsprozess – auch bei den Festveranstaltern – anstoßen konnten. Durch ca. 30 abendfüllende Diskussionsveranstaltungen ist es uns gelungen, die Festveranstalter von der Sinnhaftigkeit des Vorhabens zu überzeugen. Mittlerweile sind auf unseren Impuls hin auch angrenzende Landkreise dabei, ähnliche Projekte zu entwickeln; unser fachstelenübergreifendes Team wird daher verstärkt von anderen Landkreisen zur Unterstützung und Beratung hinzugezogen und kann dabei wertvolle Erfahrungen und Hinweise weiter geben. Zum Zeitpunkt der Einführung im Jahr 2004/2005 war der Landkreis Sigmaringen diesbezüglich Vorreiter und hat somit wesentliche Pionierarbeit geleistet.
Weitere Einzelheiten zu dem Projekt Festkultur finden sich in der Gesamtkonzeption (S. 39 ff.). Die Einordnung des Projekts zu den verhältnispräventiven Maßnahmen wird außerdem in der Übersicht auf Seite 11 der Gesamtkonzeption veranschaulicht.