Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Titel des Wettbewerbsbeitrags
Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
In den vergangenen Jahren sind in Münster vermehrt Jugendgruppen zu beobachten, die sich in ihrer Freizeit im öffentlichen Raum aufhalten und dort durch regelmäßigen, z.T exzessiven Alkoholkonsum und aggressives Verhalten auffallen. Für eine vergleichbare Jugendgruppe wurde bereits im Herbst 2004 gemeinsam mit der Koordinationsstelle Sucht des Landschaftsverband Westfalen-Lippe das auf 2,5 Jahre angelegte Bundesmodellprojekt "SeM - sekundäre Suchtprävention im Mehrebenenansatz" konzipiert und an zwei Modellstandorten durchgeführt. Aufgrund der äußerst erfolgreichen Umsetzung wird dieses sekundärpräventive und zielgruppenspezifische Konzept nun für weitere Zielgruppen angepasst und seit dem Sommer 2008 auf zunächst zwei weitere Stadtteile übertragen. Ein Transfer in weitere Stadtteile ist vorgesehen.
Ausgangslage
Die Suchtprophylaxe insbesondere für junge Menschen hat im Suchthilfesystem der Stadt Münster einen hohen Stellenwert. Schwerpunkte der suchtpräventiven Arbeit sind seit Jahren die Handlungsfelder Schule und Jugendhilfe sowie öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen und Aktionen zur Sensibilisierung der Bevölkerung. Besorgniserregende Entwicklungen beim Alkoholkonsum Jugendlicher in Münster waren ausschlaggebend für Überlegungen im Amt für Kinder, Jugendliche und Familien, dieser Problematik zusätzlich mit einer breit und langfristig angelegten Kampagne zur Alkoholprävention zu begegnen. "Voll ist out" wurde in 2004 als generalpräventiv angelegte Kampagne des Jugendamtes ins Leben gerufen, seitdem ständig weiterentwickelt und ist in Münster inzwischen ein etablierter Baustein der Präventionsarbeit in der Kommune.
In den vergangenen Jahren mehren sich dennoch die Berichte über Jugendliche und Jugendgruppen in Münster, die sich in ihrer Freizeit überwiegend im öffentlichen Raum aufhalten und dort häufig durch regelmäßigen, z.T exzessiven Alkoholkonsum und aggressives Verhalten auffallen. Ämter und Behörden wie Polizei, Ordnungsamt, Amt für Grünflächen und Umweltschutz und Amt für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bestätigen diesen Trend. Damit einher gehen zahlreiche Bürgerbeschwerden wegen Ruhestörungen, Sachbeschädigungen und Verunreinigungen von öffentlichen Plätzen Spielplätzen und Grünanlagen.
Bereits in 2003/2004 wurde für vergleichbare Jugendgruppen in Kooperation mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe das Suchtpräventionsprojekt "SeM – sekundäre Suchtprävention mit spätausgesiedelten Menschen in Münster" an der Schnittstelle von Jugendund Drogenhilfe konzipiert. Zielgruppe waren hier auffällige Cliquen von spätausgesiedelten Jugendlichen mit problematischem Alkoholkonsum, die nicht an eine Einrichtung der offenen Jugendarbeit angebunden waren. Das Bundesmodellprojekt wurde durch das Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über einen Zeitraum von 2,5 Jahren gefördert und von Oktober 2004 bis März 2007 an zwei Modellstandorten mit Anbindung an zwei Jugendeinrichtungen in städtischer Trägerschaft durchgeführt. Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation erfolgte durch die FOGS – Gesellschaft für Forschung und Beratung im Gesundheits- und Sozialbereich, Köln.
Die praktischen Erfahrungen und Ergebnisse des Modellprojektes waren äußerst positiv (vgl. Bericht in der Anlage), so dass sich das Amt für Kinder, Jugendliche und Familien bereits unmittelbar nach Beendigung der Projektlaufzeit entschloss, den erfolgreichen Mehrebenenansatz auf weitere Stadtteile zu übertragen. In der Folge wurde das Konzept für weitere Zielgruppen angepasst und nun seit dem Sommer 2008 auf zunächst zwei weitere Stadtteile übertragen. Ein Transfer auf weitere Stadtteile ist vorgesehen.
Zielgruppen
Primäre Zielgruppe sind riskant konsumierende Jugendcliquen in den Stadtteilen Südviertel und Hiltrup, die große Teile ihrer Freizeit an informellen Treffpunkten im öffentlichen Raum verbringen. Diese Jugendlichen werden von den vorhandenen Angeboten der Jugendarbeit derzeit nicht oder nur unzureichend erreicht. Die niedrigschwelligen Angebote des Suchthilfesystems greifen allerdings i.d.R. erst bei massiven Problemlagen als Folge des Suchtmittelkonsums bzw. manifester Abhängigkeit.
Die Cliquen setzen sich aus deutschen und ausländischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammen. Neben den typischen gemischten Gruppen bilden sich homogenen Gruppen, die sich aufgrund ihrer Nationalität zusammenschließen, wie z.B. russlanddeutsche Jugendliche, arabische Jugendliche oder Jugendliche aus dem Kosovo. Besorgniserregend ist der regelmäßige, in Teilen exzessive Konsum von Alkohol und illegalen (weichen) Drogen wie Cannabis sowie die (häufig damit einhergehende) wachsende Gewaltbereitschaft der Jugendlichen.
Weitere Zielgruppen sind die (professionellen) Personen, die Kontakt zu den anvisierten Zielgruppen haben. Die sogenannte Keypersons wie z.B. Mitarbeiter/innen der offenen und mobilen Jugendarbeit oder auch Personen die für die Jugendlichen beratend tätig werden als Multiplikatoren angesprochen.
Eine weitere wichtige Zielgruppe sind die Eltern der Jugendlichen. Die Informationsvermittlung zur Suchtprävention richtet sich dabei sowohl an die Eltern der Peers als auch übergreifend an die Eltern im gesamten Stadtteil.
Ziele
Vorrangiges Ziel ist es, riskant konsumierende junge Menschen vor dem "Abrutschen" in manifestes Suchtverhalten zu schützen. Dazu gehört ebenso die Bildung einer kritischen Haltung zu Alkohol und illegalen Drogen wie auch die Erhöhung der Risikokompetenz in Bezug auf den Konsum und das Erlernen eines verantwortungsvollen Umgangs mit Suchtmitteln. Gleichzeitig sollen Hemmschwellen zum Suchthilfesystem abgebaut und deren möglichst frühzeitige Inanspruchnahme forciert werden. Da das Konzept sowohl verhaltens- als auch verhältnispräventiv auf mehreren Ebenen ansetzt, sind weitere Ziele
- eine Sensibilisierung der Bezugspersonen der Jugendlichen für die Themen Sucht und Suchtprävention
- die Erprobung neuer Zugangswege zu Familienangehörigen, insbesondere Eltern
- sowie die Qualifizierung von Keypersons bzw. Bezugspersonen für einen adäquaten Umgang mit konsumierenden Jugendlichen als auch für die suchtpräventive Arbeit
Umsetzung im Mehrebenenansatz
Zur Umsetzung dieser Ziele und um möglichst hohe Nachhaltigkeit zu erreichen, kommen bewährte Arbeitsansätze suchtpräventiver Arbeit im Mehrebenenansatz zeitgleich zum Einsatz: Peer-Arbeit, Einsatz von Schlüsselpersonen, Elternarbeit sowie Streetwork.
Schulung von Peers (ro.pe-Training)
Das fünftägige Training verfolgt den so genannten Peer-Education-Ansatz. In den Cliquen werden informelle Meinungsführer ausfindig gemacht und für die Teilnahme an einer fünftägigen Peerschulung zur Suchtprävention mit dem Praxisansatz Sportklettern motiviert.
Das im Modellprojekt entwickelte ro.pe-Training besteht im Wesentlichen aus drei Elementen: Risikooptimierung, peer education und Suchtprävention. Dafür wurde das Drei-Säulen-Modell der Risikooptimierung aus risk’n’fun des österreichischen Alpenvereins OEAV entliehen. Jugendliche werden in der Absicht geschult, dass sie ihr erworbenes Wissen in die Gleichaltrigengruppe, die sog. Peergroup, weitergeben. Ziel des Trainings ist es, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Risiken ihres Konsumverhaltens zu sensibilisieren, eine kritische Einstellung zu Suchtmitteln jeglicher Art zu fördern und einen verantwortungsvollen, reflektierten Umgang mit legalen Suchtmitteln zu vermitteln.
Dabei wird auf die Schulungsinhalte und gemeinsam mit Jugendlichen entwickelten Schulungsmaterialien zurückgegriffen, die bereits im Modellprojekt erfolgreich eingesetzt wurden. Der Ablauf des Trainings wird mit den teilnehmenden Jugendlichen abgestimmt. Besonders bewährt hat sich hierbei die Verknüpfung von praktischem Handeln und Theorievermittlung: über die Risikosportart Klettern werden verschiedene Regeln im Hinblick auf riskantes Verhalten praktisch erlernt. Vorhandene Kompetenzen im Bereich Wahrnehmung, Risikoeinschätzung und Entscheidungsfindung werden aufgezeigt und gefördert.
In den Reflexionseinheiten übertragen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das so erlernte Wissen auf das Verhalten im Umgang mit Suchtmitteln. Erfahrungsgemäß findet der Transfer vom Risikomanagement beim Klettern zum Thema Sucht bei den Jugendlichen fast automatisch statt. Durch die intensive Auseinandersetzung mit den Trainern und den anderen Teilnehmerinnen sind die geschulten Jugendlichen in der Lage, ihr erworbenes Wissen und ihre Haltung in der Clique weiter zu geben und auch dort eine Hinterfragung von Konsumverhalten anzuregen.
Zwei Bezugspersonen (Keypersons) der jeweils kontaktaufnehmenden Einrichtung nehmen an der Risikokompetenzschulung teil und bleiben Ansprechpersonen für die Jugendlichen. Neben dem Aufbau einer tiefergehenden professionellen Beziehung durch einen gruppendynamischen Prozess haben sie die Aufgabe die Nachhaltigkeit des Ansatzes der Peereducation im Alltag zu sichern.
Schulung von Keypersons und Multiplikatoren
Wichtige Schlüsselpersonen aus den Stadtteilen (z.B. Mitarbeiter/innen der Stadtteilhäuser), die im Kontakt mit den Jugendlichen stehen, wurden bereits im vergangenen Jahr und werden auch in 2009 mit einer Schulung durch ausgebildetet MOVE-Trainer der städtischen Drogenhilfe sekundärpräventiv qualifiziert. Die Fortbildung basiert auf dem dem Konzept "MOVE - motivierende Kurzintervention bei konsumierenden Jugendlichen" der ginko Stiftung für Prävention, Koordination für Suchtvorbeugung NRW.
Bei der Schulung der Schlüsselpersonen geht es darum, insbesondere pädagogische Fachkräfte aus den Jugendhilfeeinrichtungen vor Ort sowie angrenzender Bereiche fachlich für einen adäquaten Umgang mit riskant konsumierenden Jugendlichen sowie die (Sekundär-)Prävention zu qualifizieren, um möglichst frühzeitige suchtpräventive Interventionen (in der Arbeit vor Ort) zu ermöglichen und auch die bislang nicht erreichte Gruppe der riskant konsumierenden Jugendlichen zu erreichen.
So wurden u.a. Strategien zur Kontaktaufnahme, methodische Grundlagen der motivierenden Kurzintervention sowie Methoden und Strategien der Gesprächsführung vermittelt als auch fachliche Grundlagen zu den Themen Drogen, Sucht und rechtliche Rahmenbedingungen. Die Schlüsselpersonen werden auch nach der dreitägigen Fortbildung fachlich durch Fachkräfte der Drogenhilfe begleitet.
Schulung von Eltern
Ganzheitliche Suchtprävention bedarf der Einbeziehung der Eltern und anderer Familienangehöriger junger Konsument/innen. Es ist förderlich, wenn suchtprophylaktische Bemühungen von den Eltern mitgetragen und unterstützt werden.
Im Modellprojekt wurde die Methode der "Homepartys" gewählt, die sich für die Schulung der russlanddeutschen Eltern als hervorragend geeignet erwies. Inhaltlich wurden Eltern durch eine Fachkraft des Projekts u.a. zu den Themen Drogen und Sucht, Suchtprävention, Jugendarbeit, Erziehungsverhalten u.a. geschult und angeleitet. Die Form der Elternschulung im Transferprojekt wird abhängig von den sozialen und kulturellen Hintergründen der jeweiligen Zielgruppen sein. Analog der Schulungen für Keypersons werden für die Elternschulungen spezifische Systembausteine zum Beispiel zur Informationsvermittlung oder auch zur Vermittlung spezifischer Handlungsansätze im Umgang mit gefährdeten Jugendlichen entwickelt. In der Umsetzung wird ggf. auf eine Kooperation mit einem Bildungsträger im Stadtteil zurückgegriffen werden.
Streetwork
Die Kontaktaufnahme zu den Jugendcliquen an ihren informellen Treffpunkten ist ein sensibles Unterfangen und bedarf einer fachlich qualifizierten Herangehensweise. Es gilt die entsprechenden Gruppen zu identifizieren und Kontakt zu den Jugendlichen im öffenlichen Raum aufzubauen. Der Arbeitsansatz der Streetwork fördert den Beziehungsaufbau mit schwierigen Jugendlichen und den Aufbau tragfähiger Vertrauensverhältnisse. In den beiden ausgewählten Stadtteilen erfolgt die Kontaktaufnahme über die vor Ort vorhandene mobile Jugendarbeit, die in der Ansprache jugendlicher Cliquen im öffentlichen Raum bereits z.T. über langjährige Erfahrungen verfügen. Bei dem späteren Transfer in weitere Stadtteile steht die städtische Streetwork bei fehlenden Angeboten aufsuchender Jugend(sozial)arbeit im Rahmen eines vorhandenen städtischen Cliquenkonzeptes mit unterschiedlichen Qualifizierungsangeboten begleitend und unterstützend zur Verfügung.
Aktueller Stand und Ausblick
Im Mai 2008 erfolgte die Ausschreibung durch die Jugendförderung des Amtes für Kinder, Jugendliche und Familien an die freien Träger in der Stadt Münster. Als Voraussetzung zur Teilnahme wurde folgendes Anforderungsprofil und Aufgabenspektrum für die Jugendeinrichtung / den Träger der mobilen Jugendarbeit festgelegt:
- Jugendclique mit problematischem Suchtmittelkonsum im Stadtteil
- Bereitschaft der verschieden Akteure im Stadtteil zusammenzuarbeiten
- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen möglichst über eine MOVE - Schulung
- Zielgruppenspezifische Gesamtanalyse im Sozialraum wird durchgeführt
- Entwicklung und Koordination des Gesamtprojektes vor Ort
- ggf. Kooperation mit Träger der mobilen Jugendarbeit / Jugendeinrichtung
- Vernetzung des Trägers/ der Einrichtung im Stadtteil
- fachliche Begleitung durch Mitarbeiter des Amtes für Kinder, Jugendliche und Familien
Mitte des vergangenen Jahres fand die Auswahl der beiden Standorte statt. Die durchführenden (freien) Träger wurden in einem Auftaktgespräch zum Projektverlauf und den vorgesehenen Methoden umfassend informiert. In der Folge wurden die Stadtteiljugendarbeitskreise vor Ort über das Projekt informiert und in die Zielgruppenbestimmung in der Funktion einer Fokusgruppe mit einbezogen.
Die nächsten Schritte sind die Definition der Zielgruppen sowie die Identifikation der Keypersons. Daran schließt sich - falls erforderlich - die Schulung der Schlüsselpersonen und die Kontaktaufnahme zu den anvisierten Jugendcliquen an. Aus den Jugendcliquen erfolgt die Akquise der Teilnehmer für die Peerschulungen, die dann im Sommer 2009 durchgeführt werden sollen. Die geschulten Peers werden im weiteren Projektverlauf wie auch die Schlüsselpersonen durch pädagogische Fachkräfte begleitet. Es ist vorgesehen, in der pädagogischen Arbeit mit den Jugendlichen Bausteine der in 2006 prämierten Alkoholpräventionskampagne "Voll ist out" ein zu setzen.
Die Peer- und Multiplikatorenschulungen werden intern mittels eines Fragebogens evaluiert. Für den Herbst 2009 ist eine weitere Evaluation bei den geschulten Peers, den Keypersons und der Fokusgruppe geplant.