Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
Titel des Wettbewerbsbeitrags
Kurzfassung des Wettbewerbsbeitrags
Zeitgleich mit der Fußball WM 2006 in Deutschland, entwickelten sich mehrere Orte in der Göttinger Innenstadt zu abendlichen Treffpunkten junger Menschen aus dem Stadtgebiet und der gesamten Region. Dies betraf besonders den traditionsreichen Göttinger Wilhelmsplatz. Exzessiver Alkoholkonsum, Nachtruhestörungen, Vermüllung, Vandalismus und Gewalt sowie Anwohnerbeschwerden und ein sinkendes Sicherheitsempfinden in der Bevölkerung waren die Folge.
Der Träger Jugendhilfe Göttingen e.V. entwickelte daraufhin im Auftrag der Stadt Göttingen das Strategiekonzept des Projekts Go Willi!. Es etablierte eine beteiligungsorientierte alkohol- und kriminalpräventive Arbeit und richtet sich seit 2006 mit Streetwork an jugendliche Platzbesucher/innen. Durch Vernetzung der relevanten Akteure, wie Polizei, Ordnungsamt, Jugendamt u.a., werden Zuständigkeitsgrenzen überwunden. Derzeit wird das positiv evaluierte Präventionskonzept Go Willi! auf der Basis einer Situationsanalyse auf weitere Innenstadttreffpunkte (Parks, Plätze, Straßen und Partymeilen) übertragen. Ziel ist es, Nutzungskonflikte zwischen allen Beteiligten zu verringern.
Beschreibung des Wettbewerbsbeitrags
"Go Willi" – ein Projekt der Jugendhilfe Göttingen e.V.
1. Ausgangssituation
1.1 Ausgangslage Göttingen
Die Stadt Göttingen mit ihren ca. 129.000 Einwohner/innen fungiert für die Region Südniedersachsen und Nordhessen sowie für das nordwestliche Thüringen als Oberzentrum. Eine Großzahl von Menschen aus Göttinger Stadtteilen und der Region pendeln regelmäßig ins Zentrum der Stadt. Sie fahren zur Arbeit, besuchen Schulen, Bildungseinrichtungen und Hochschulen, erledigen Einkäufe und Behördengänge oder nutzen die Vielzahl an medizinischen Versorgungseinrichtungen. Darüber hinaus erfreuen sich Freizeitangebote wie z.B. Kinos, Theater, Konzerte oder Sportveranstaltungen großer Beliebtheit. In den Abendstunden und an den Wochenenden fühlen sich neben den Bewohner/innen auch viele Gäste von der Vielzahl an Kneipen, Restaurants und Diskotheken in attraktiver Innenstadtlage angezogen.
Das Bild der Göttinger Innenstadt ist geprägt durch Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlicher Herkunft. Vom Studierenden bis hin zu Besucher/innen aus der Region, vom Punk bis zum Universitätsprofessor oder vom Schüler bis zum Touristen – all diese Gruppen und viele mehr finden ihren Platz in der Göttinger Innenstadt.
1.2 Ausgangslage Wilhelmsplatz/Innenstadt
Seit einigen Jahren hat sich der Göttinger Wilhelmsplatz als zentraler Treffpunkt für zum Teil bis zu mehreren hundert jungen Menschen in den Abend- und Nachtstunden, insbesondere an den Wochenenden und zu allen Jahreszeiten, herausgebildet. Die gute Erreichbarkeit, eine hohe Kneipen- und Kioskdichte sowie die Möglichkeit dort andere junge Menschen zu treffen wirken anziehend. Der Wilhelmsplatz bietet zudem die Möglichkeit, sich dort auch mit mitgebrachten oder vor Ort günstig erworbenen alkoholischen Getränken zu versorgen. Mehrere Kioske bzw. Supermärkte (Stichwort verlängerte Ladenöffnungszeiten) grenzen an den Platz oder befinden sich in der Nähe. Es entfällt der ansonsten in der Gastronomie übliche Zwang zum Konsumieren.
Das Spektrum der Wilhelmsplatzbesucher/innen zieht sich durch fast alle in Göttingen anzutreffenden Jugend (Sub-) Kulturen: Punks, Dark-Wave/Gothik, Alternative, HipHopper, "Normalos". Darüber hinaus haben sich einige Gruppen anhand ihrer gemeinsamen kulturellen Hintergründe organisiert: Russlanddeutsche, Araber, Libanesen, Türken, Kosovo – Albaner.
Bereits seit längerer Zeit beschweren sich Anwohner/innen in den Abend- und Nachtstunden über Gruppen von alkoholisierten jungen Menschen, von denen ein kleiner Teil junger Männer durch ein hohes Maß an verbaler und körperlicher Aggressionsbereitschaft auffällt. Insbesondere einige Einzelpersonen treten mit Pöbeleien und stark provozierendem Verhalten in den Vordergrund und bilden dadurch häufig den Ausgangspunkt für weitere Auseinandersetzungen, in die dann zunehmend Gruppen von rivalisierenden Jugendlichen gewalttätig aneinander geraten. Einige Gruppen, wie z.B. russisch-stämmige oder kosovo-albanische Jugendliche zeichnen sich durch ihre ethnische Homogenität aus. Wenn junge Frauen auffällig werden, dann eher durch verbale Aggressivität und übermäßigen Alkoholkonsum. Körperliche Gewalt mit weiblichen Beteiligten bildet bislang eher die Ausnahme. Am Wilhelmsplatz sind mehr junge Männer als Frauen anzutreffen. Beobachtungen in den letzten Wochen und Monaten haben außerdem gezeigt, dass der Wilhelmsplatz auch regelmäßig von Minderjährigen im Alter unter 14 Jahren besucht wird. Einige dieser Minderjährigen sind der Polizei und dem Jugendamt bereits bekannt.
Übereinstimmend berichten die Stadtverwaltung und die Göttinger Polizei über eine Zunahme an Ordnungswidrigkeiten und Straftaten in der gesamten Göttinger Innenstadt und auf dem Göttinger Wilhelmsplatz seit der Fußball WM 2006. Die Polizeistatistik weist für den gesamten Innenstadtbereich im Zeitraum von Oktober 2006 bis September 2007 eine Zunahme an Straftaten von ca. 50% aus. Gerade Körperverletzungsdelikte haben stark zugenommen. Im Zeitraum vom 01.04.2006 bis 28.03.2007 hat die Polizei Göttingen 105 Straftatbestände im Umfeld Wilhelmsplatz ermittelt. 45 Fälle davon waren Körperverletzungsdelikte. Jugendliche im Alter bis zu 17 Jahren waren zu 23% beteiligt.
Polizei und Ordnungsamt haben ihre Präsenz am Wilhelmsplatz massiv verstärkt. Teilweise stehen ein bis zwei Mannschaftswagen der Polizei abends am Rande des Wilhelmsplatzes und überwachen die Situation. Die Polizei beklagt aber, dass diese sehr personalintensive Vorgehensweise dauerhaft nicht aufrechtzuerhalten ist und damit gleichzeitig eine Verdrängung von jungen Menschen, die strafbare Handlungen begehen, in andere Innenstadtbereiche oder uneinsichtige Parkanlagen einhergeht. Um mittel- bis langfristig eine Veränderung der Situation zu erzielen, wünschen sich die Vertreter der Göttinger Polizei ebenfalls eine Flankierung durch Sozialarbeit.
2. Ziele und Zielgruppe
Parallel zu den Aktivitäten der Ordnungsbehörden (Polizei und Ordnungsamt) baut die Jugendhilfe Göttingen e.V. niedrigschwellige Strukturen zur Ansprache von gewaltbereiten und alkoholisierten Jugendlichen in der Göttinger Innenstadt auf. Der Verein Jugendhilfe Göttingen erweitert dazu mit dem Projekt "Go Willi" seine Arbeitsschwerpunkte. Projekt "Go Willi" arbeitet eng mit dem Projekt Kontakt der Jugendhilfe Göttingen e.V.
In einem Netzwerk bestehend aus Polizei, Ordnungsamt, Jugenddezernat, freien und öffentlichen Träger von Jugend(sozial)arbeit, Beratungsstellen, Präventionsrat und Präventionsverein werden verschiedenen präventive Maßnahmen entwickelt und durchgeführt. Die Maßnahmen richten sich gezielt an die verschiedenen Jugendgruppen und berücksichtigen die unterschiedlichen Lebenssituationen der Jugendlichen.
2.1 Ziele
- Gewalttätige Auseinandersetzungen unter Jugendlichen in der Innenstadt nehmen ab
- Polizeieinsätze nehmen ab
- Alkoholkonsum unter Jugendlichen im öffentlichen Raum Wilhelmsplatz nimmt ab
- mehrfachauffällige Jugendliche und sog. Rädelsführer werden identifiziert
- gezielte (Präventions-) Maßnahmen für auffällige Jugendliche werden angeboten und entwickelt bzw. vom Jugendgericht verhängt
- gefährdete Jugendliche werden gezielt angesprochen
- Opfer werden durch gezielte Angebote gestärkt
2.2 Zielgruppen
Zielgruppen sind auffällige und gewaltbereite Kinder und Jugendliche in der Göttinger Innenstadt, speziell einzelne Jugendliche und Jugendgruppen, die sich auf dem Wilhelmsplatz oder angrenzenden Bereichen treffen. Dazu zählen:
- Jugendliche, die durch erhöhten Alkohol- oder Drogenkonsum auffallen
- Jugendliche, die bereits durch Straftaten aufgefallen sind
- junge Menschen, die durch aggressives oder dissoziales Verhalten auffallen
- Jugendliche, bei denen erste Anzeichen von abweichendem Verhalten sichtbar sind
- Jugendliche unter 14 Jahren
- Schulverweigerer und jugendliche Wohnsitzlose
3. Inhalte/Methode
- niedrigschwellige Kontaktaufnahme zu Einzelnen und Gruppen durch Streetwork am Wilhelmsplatz und angrenzenden Gebieten
- zusätzliche Kontaktaufnahme durch aufsuchende Arbeit (u.a. Schulen, ugendeinrichtungen, ggf. Hausbesuche)
- gemeinsame Analyse der persönlichen Situation unter Einbeziehung des persönlichen Umfeldes (Peergroups, Eltern, Schule, etc.) mit den Jugendlichen
- gemeinsame zeitnahe Reaktion durch aufeinander abgestimmte bereits vorhandene oder gemeinsam mit den Projektpartnern/Institutionen zu entwickelnde Maßnahmen
- persönliche Begleitung bei (verhängten ambulanten oder stationären) Maßnahmen (Arbeitsweisung, Arbeitsauflage, Jugendarrest, HALT, etc.), Vor- und Nachbetreuung
- Vermittlung und Begleitung in Bildungs- bzw. Betreuungsmaßnahmen oder Praktika (z.B. Projekt Kontakt, Schulverweigerung - Die 2.Chance, Kompetenzagentur konTur, Produktionsschule, Jugendwerkstätten, Schulpflichterfüllungsprojekte, etc.)
- Verhinderung von Zuständigkeitsgerangel durch enge Netzwerkarbeit und hohe Transparenz der Partner durch gemeinsame Arbeit am jeweiligen "Fall"
4. Projektphasenplan
April 2008 – Dezember 2008 (Aufbauphase): niedrigschwellige Kontaktaufnahme und Ansprache zur Zielgruppe, Mitarbeiter/innen machen sich bekannt, Vertrauen und Akzeptanz bei der Zielgruppe und bei den Projektpartnern werden aufgebaut, regelmäßiger Informationstransfer zwischen den Projektpartnern findet statt, Lücken im institutionellen Betreuungs- und Sanktionssystem werden identifiziert.
Januar 2009 – August 2009 (Erprobungsphase): Vertrauen und Akzeptanz zur Zielgruppe sind hergestellt, alkoholkonsumierende, gefährdete und straffällige Jugendliche wenden sich an Projektmitarbeiter/innen, die Anlaufstelle Innenstadt wird von Betroffenen zum Thema Jugendkriminalität als Ort niedrigschwelliger Unterstützung und Beratung genutzt, Jugendliche werden bei verhängten Maßnahmen begleitet, Maßnahmen sind nicht mehr singulär, sondern werden zwischen den Projektpartnern aufeinander abgestimmt, Lücken im Betreuungssystem werden geschlossen.
September 2009 – Dezember 2009 (Nachhaltigkeits- und Verstetigungsphase): Auswertung über Erkenntnisse der Projektarbeit mit Projektpartnern und in den politischen Gremien, Integration von erfolgreichen und effektiven Bestandteilen der Projektarbeit in bestehende oder neu zu schaffende selbsttragende Strukturen (z.B. in die Arbeit des Projekts Kontakt, präventive Angebote durch das Jugendamt, etc.), neu entwickelte Maßnahmen sind in das Hilfesystem integriert.
5. Evaluation
Das Projekt "Go Willi" wird wissenschaftlich begleitet. Im Mittelpunkt des Interesses steht hierbei die Frage, welche Lösungsansätze von den beteiligten Netzwerkpartnern als erfolgreich angesehen werden und welche Faktoren zu einem Gelingen beitragen bzw. dieses behindern. Besonders konzentriert sich die Evaluation auf einen Kernbereich des Vorhabens, nämlich die Frage, ob die Optimierung der Kooperation zwischen den Akteuren im Netzwerk gelungen ist und welche Faktoren dafür ausschlaggebend waren.
Hierfür werden zunächst verschiedene Falltypen (z.B. Jugendliche, die bereits durch Straftaten unter Alkoholeinfluss aufgefallen sind; junge Menschen, die durch aggressives oder dissoziales Verhalten auffallen; Jugendliche, bei denen erste Anzeichen von abweichendem Verhalten sichtbar sind, Jugendliche unter 14 Jahren) heraus gearbeitet. Jedem Typus wird mindestens ein konkreter Fall zugeordnet. Die an der Bearbeitung der Fälle beteiligten Einrichtungen und soweit möglich auch die Jugendlichen selbst werden dann dazu befragt, welche Wirkungen die Interventionen im Hinblick auf die formulierten Ziele hatten und welche Faktoren zum Erfolg bzw. Misserfolg der Interventionen beigetragen haben. Die Auswahl der zu untersuchenden Falltypen und der konkreten Fälle wird in Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe Göttingen e.V. erfolgen.
Als Ergebnis der Evaluation werden die für Erfolge und Misserfolge ausschlaggebenden Faktoren dokumentiert und in einem Evaluationsbericht veröffentlicht, um die Ergebnisse überregional zur Verfügung zu stellen.
Die Evaluation wird von Zoom – Gesellschaft für prospektive Entwicklungen e.V. (Zoom e.V.) in Göttingen durchgeführt. Zoom e.V. ist ein seit gut sechs Jahren bestehendes Institut, das sich intensiv mit verschiedensten sozialpolitischen Fragestellungen beschäftigt. Besondere Schwerpunkte liegen auf den Themenfeldern Beschäftigungspolitik, Soziale Ausgrenzung, Antidiskriminierung, Interkulturalität und Gewalt (vgl. www.prospektive-entwicklungen.de).
Jugendhilfe Göttingen e.V.
Projekt "Go Willi"
Untere Karspüle 4
37073 Göttingen
Ansprechpartner/innen:
Christian Hölscher, Oliver Sauer, Milena Jurczik, Dorothe Bonner
Tel.: +49 551 7079410, -19, -13
Fax: +49 551 7079418
E-Mail: gowilli@jugendhilfe-goettingen.de
Internet: www.jugendhilfe-goettingen.de
Fragen zum Wettbewerbsbeitrag
C 1 Fragen zur gesamtkommunalen Einbindung des Wettbewerbsbeitrags
C 2 Fragen zur Konzeption und Ausrichtung des Wettbewerbsbeitrags
interdisziplinäre und multiprofessionelle Netzwerkarbeit
C3 Fragen zur Umsetzung des Wettbewerbsbeitrags
Straßensozialarbeit, ProCity GmbH, Anwohnerinnen und Anwohner, Stadtreinigung, Grünflächenamt
vielfach in überregional und europaweit (Hannover, Berlin, Brüssel, Paris, etc.) vorgestellt, großes Interesse am Göttinger-Ansatz, Übernahme durch andere Kommunen nicht bekannt