Auszug aus der Wettbewerbsdokumentation
Kommune und Wettbewerbsbeitrag im Überblick
Einwohnerzahl | 121.581 |
Bundesland | Niedersachsen |
Titel des Beitrags | Das Projekt "Go Willi!" und dessen Weiterentwicklung in der Stadt Göttingen |
Schwerpunkt des Beitrags | Beteiligungsorientierte alkohol- und kriminalpräventive Arbeit richtet sich seit 2006 mit Streetwork an Jugendliche in der (Innen-)Stadt |
Kontakt | Claudia Wittenstein Geschäftsführerin des Präventionsrates für die Stadt Göttingen Hiroshimaplatz 1-4 37083 Göttingen Tel.: +49 551 400-2901 E-Mail: c.wittenstein@goettingen.de |
Anlass und Ausgangssituation
Seit einigen Jahren hat sich der Wilhelmsplatz in Göttingen als zentraler Treffpunkt für bis zu mehrere hundert junge Menschen in den Abend- und Nachtstunden, insbesondere an den Wochenenden und zu allen Jahreszeiten, herausgebildet – verbunden mit starken Nachbarschaftsstörungen. Der Wilhelmsplatz bietet zudem über Kioske und Supermärkte die Möglichkeit, sich dort mit vor Ort günstig erworbenen alkoholischen Getränken zu versorgen. Das Spektrum der Besucher des Wilhelmplatzes umfasst fast alle in Göttingen anzutreffenden Jugend-(Sub-)Kulturen und kulturellen Hintergründe. Auch Minderjährige unter 14 Jahren sind regelmäßig anzutreffen. Neben dem teils intensiven Alkoholkonsum kommt ein hohes Maß an verbaler und körperlicher Aggressionsbereitschaft hinzu.
Übereinstimmend – belegt mit Zahlen der Polizeistatistik – berichten Stadtverwaltung und Göttinger Polizei trotz einer massiven Präsenz von Polizei und Ordnungsamt vor Ort über eine Zunahme an Ordnungswidrigkeiten und Straftaten in der gesamten Innenstadt und auf dem Wilhelmsplatz seit der Fußballweltmeisterschaft 2006.
Im Auftrag der Stadt erstellte daraufhin die Jugendhilfe Göttingen e.V. eine Ausgangs- und Bedarfsanalyse für den Wilhelmsplatz; es wurden Interviews und Workshops mit Jugendlichen, Anwohnern, Geschäftsleuten und weiteren Akteuren aus Verwaltung und Jugendarbeit durchgeführt.
Konzeption und Ziele
Übergeordnetes Projektziel der Stadt Göttingen ist es, allen Bürgern einen angstfreien und unbeschränkten Zugang zu öffentlichen Räumen und Plätzen zu gewährleisten und deren Nutzung zu ermöglichen. Dies erfordert Akzeptanz von und Respekt gegenüber bestehenden Regeln und Normen. In einem Netzwerk aus Polizei, Ordnungsamt, Jugenddezernat, freien und öffentlichen Trägern von Jugend(sozial)arbeit, Beratungsstellen, Präventionsrat und Präventionsverein wurden und werden verschiedene, vor allem präventive Maßnahmen entwickelt und durchgeführt. Zielgruppen sind auffällige und gewaltbereite Kinder und Jugendliche in der Göttinger Innenstadt, speziell auf dem Wilhelmsplatz. Entwickelt wurde das Projekt "Go Willi!" – ein geschlechtersensibel ausgerichtetes Streetworkprojekt mit dem Ziel, den Jugendlichen individuelle Hilfen durch direkten Kontakt zu geben.
Vorgehen und Umsetzung
Zur kurzfristigen Intervention haben sich die Netzwerkbeteiligten im Rahmen von "Go Willi!" auf drei miteinander verzahnte Komponenten in der Innenstadt verständigt:
- Polizeipräsenz, vor allem an Wochenenden, und Eingreifen der Polizei, sobald dies nötig ist;
- Kontrollen und Information durch den Stadtordnungsdienst unter Mitwirkung des Fachbereichs Jugend (z.B. Kioskbetreiber: Einhaltung des Jugendschutzgesetzes);
- sozialpädagogische Arbeit mit dem Fokus auf (mehrfach) auffällige Jugendliche: niedrigschwellige Kontaktaufnahme zu Einzelnen und Gruppen durch Streetwork am Wilhelmsplatz und in angrenzenden Gebieten, zusätzliche Kontaktaufnahme durch aufsuchende Arbeit (u.a. Schulen, Jugendeinrichtungen, ggf. Hausbesuche), mit den Jugendlichen gemeinsame Analyse der persönlichen Situation unter Einbeziehung des persönlichen Umfelds (Peergroups, Eltern, Schule etc.), gemeinsame zeitnahe Reaktion durch aufeinander abgestimmte, bereits vorhandene oder gemeinsam mit den Projektpartnern/Institutionen zu entwickelnde Maßnahmen, persönliche Begleitung bei (verhängten ambulanten oder stationären) Maßnahmen (Arbeitsweisung, Arbeitsauflage, Jugendarrest, Bundesprojekt HaLT etc.), Vor- und Nachbetreuung, Vermittlung und Begleitung in Bildungs- bzw. Betreuungsmaßnahmen oder Praktika (z.B. Projekt Kontakt, Schulverweigerung – Die 2. Chance, Kompetenzagentur konTur, Produktionsschule, Jugendwerkstätten, Schulpflichterfüllungsprojekte etc.) und schließlich Verhinderung von Zuständigkeitsgerangel durch enge Netzwerkarbeit und hohe Transparenz der Partner durch gemeinsame Arbeit am jeweiligen "Fall".
Mittel- und langfristige Veränderungen des Platzes werden im Netzwerk mit der Stadtplanung entwickelt, um auch durch städtebauliche Maßnahmen die Aufenthaltsqualität und Sicherheit auf dem öffentlichen Platz zu unterstützen.
Die Netzwerkpartner arbeiten intensiv und arbeitsteilig mit unterschiedlichen Schwerpunkten zusammen. Bereits bei der Initiative zum Projekt waren die Partner Jugendhilfe Göttingen, Stadt Göttingen (Stadtordnungsdienst, Fachbereich Jugend, Stadtplanung) und Polizei beteiligt. Das enge Zusammenwirken der Partner führt zu Synergien; die Transparenz in der Arbeit vermeidet Doppelarbeit und sich widersprechende Interventionen.
Praxisbeobachtungen bestätigen eine Entschärfung der Problemlage, ohne dass eine Verdrängung an andere Standorte stattgefunden hätte. Indikatoren für eine positive Entwicklung sind ein Rückgang der Beschwerden durch Anwohner, von Polizeieinsätzen und polizeilichen Ermittlungen zu Ordnungswidrigkeiten im Umfeld des Wilhelmsplatzes sowie eine wachsende Gesprächsbereitschaft der Jugendlichen.
Derzeit wird das evaluierte Präventionskonzept "Go Willi!" auf der Basis einer Situationsanalyse auf weitere Innenstadttreffpunkte (Parks, Plätze, Straßen und Partymeilen) übertragen. Ziel ist es, Nutzungskonflikte zwischen allen Beteiligten zu verringern.
Begründung der Prämierung
Das Projekt "Go Willi!" als Konzept zu Alkoholprävention und Umgang mit Alkoholmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen trifft den Kern von Alkoholprävention im öffentlichen Raum.
Hinter dem Konzept steht eine fundierte Ausgangs- und Bedarfsanalyse für den Wilhelmsplatz. Es wurden Interviews und Workshops mit Jugendlichen, Anwohnern, Geschäftsleuten und weiteren Akteuren aus Verwaltung und Jugendarbeit geführt und somit ein hohes Maß an Partizipation gewährleistet. Die Problemanalysen und daraus entwickelten Maßnahmen sind systematisch angelegt und führen detailliert Ziele, Zielgruppen, Handlungsnotwendigkeiten und verantwortliche Partner für die einzelnen Handlungsschritte auf.
Hervorzuheben ist die intensive Vernetzung der unterschiedlichen öffentlichen und freien Träger, die die Zuständigkeitsgrenzen, die sich aus den formalen Verantwortungsbereichen der beteiligten Institutionen wie der Polizei, des Ordnungsamts etc. ergeben, durchlässiger macht und dadurch neue Wege für eine an den Betroffenen orientierte und partizipative kriminalpräventive Arbeit schafft.
Durch die Netzwerkarbeit werden Synergien geschaffen und ein effektives Arbeiten ermöglicht. Mit der Innenstadtjugendkonferenz wurde ein Forum für die Kontinuität von Kooperation und Netzwerkarbeit geschaffen. Der kommunale Präventionsrat ist in die Arbeit einbezogen. Die Akteure stehen in einem sehr regelmäßigen und verbindlichen Austausch, der die Transparenz der verschiedenen Aufgaben fördert und gegenläufige Handlungsansätze verhindert.
Das Projekt ist sehr systematisch in verschiedene Phasen untergliedert (Aufbau, Erprobung, Nachhaltigkeits- und Verstetigungsphase) und auf Dauer angelegt. Im Sinne einer Qualitätssicherung werden die Arbeitsschritte aller Partner im Projekt dokumentiert und auf den regelmäßigen Netzwerktreffen (Innenstadtjugendkonferenz) analysiert. Statistiken über die Zahl der Auffälligkeiten werden von den lokalen Behörden und der Polizei geführt. Bereits während des Prozesses erfolgte zudem eine begleitende externe Evaluation, die durch ein zeitnahes Rückkoppeln von Zwischenständen Nachjustierungen ermöglichte.
Hervorzuheben ist schließlich der hohe Transfergehalt von "Go Willi!": Das Projekt wird inzwischen auf weitere Innenstadttreffpunkte übertragen. Zudem gab es überregionale und europaweite (u.a. Hannover, Berlin, Brüssel, Paris) Nachfragen nach Projektkonzeption und -umsetzung.
Zum Originalwettbewerbsbeitrag der Stadt Göttingen.
1 Die Einwohnerzahlen der prämierten Kommunen wurden folgenden Quellen entnommen: Statistisches Bundesamt: Gemeindeverzeichnis online, https://www.destatis.de/gv/ (Abruf Februar 2013); Statistische Ämter des Bundes und der Länder: Regionaldatenbank, https://www.regionalstatistik.de (Abruf Februar 2013).